Grün-As

Editorial

Liebe Leserinnen und Leser, ich weiß nicht, ob ich es schon einmal erwähnt habe. Wenn nicht, tu ich es hiermit: Ich bin ein Fan von Grünau. Für viele Menschen, die hier seit Jahren oder sogar Jahrzehnten glücklich leben, ist das eine Selbstverständlichkeit. Für mich als Grünau-Neueinsteiger nicht. Denn als ich den Stadtteil vor sechs Jahren kennenlernte, war ich ehrlich gesagt sehr skeptisch. Damals glaubte ich tatsächlich, dass hier nur Nazis, Rentner und psychisch gestörte Problemfälle wohnen würden. Eine Schlafstadt ohne Flair, eine Betonwüste, ein Ghetto, in dem man sich nachts nicht auf die Straße trauen kann - als Südvorstädterin, die buntes Treiben rund um die Uhr, junges Leben und Gründerzeitzeithäuser gewohnt war, machte ich jedenfalls einen großen Bogen um die gesamte Plattenbausiedlung.

Die arbeitsbedingte Zwangsgewöhnung an Grünau war zunächst der pure Horror für mich. Es fiel mir ehrlich schwer, all die lieb gewonnenen Vorurteile über Bord zu werfen, ich wollte weder das üppige Grün im Stadtteil sehen, noch zur Kenntnis nehmen, dass hier auf vielfältige Art und Weise kulturelles Leben pulsiert und erst recht nicht wahrhaben, dass in Grünau Menschen jedweden Alters und unterschiedlichster Einstellung wohnen, die dazu auch noch behaupteten, sich wohl zu fühlen. Es hat lange gedauert, bis in mir die Erkenntnis reifte, dass die oberflächliche Negativ - Darstellung in Leipzigs Monopolmedien keineswegs der Wirklichkeit entspricht. Was lange währt, wird gut: Nun bin ich zum Fan der hiesigen Wohn- und Lebensqualität geworden. Grünau ist außergewöhnlich, speziell, besonders - gerade weil es den Kampf gegen sein zu unrecht schlechtes Image aufgenommen hat, entstehen ihm und den Stadtteilakteuren ungeahnte Möglichkeiten, die vielfältig genutzt werden.

Dank des individuellen und manchmal selbstaufopfernden Engagements einzelner Grünauer, Vereine und Institutionen entstehen Projekte, die in anderen Gegenden undenkbar wären. Und dank diverser Fördertöpfe, ASW und Quartiersmanagement fließen Gelder in den Stadtteil, die unmittelbar seiner Entwicklung und seinen Bewohnern zugute kommen. Umfangreiche kulturelle, sportliche und intellektuelle Angebote konnten in der Vergangenheit schon mit Hilfe dieser Mittel verwirklicht werden. Das Mammutprogramm des diesjährigen Kultursommers kam beispielsweise nur aufgrund kreativer Köpfe seitens einiger Akteure sowie finanzieller Zuschüsse zustande und auch die im September eröffnete Skateranlage im »Heizhaus«, WK 2 gäbe es nicht ohne Geduld, Hartnäckigkeit und Phantasie seitens der Betreiber und einen Teil des nötigen Geldes aus öffentlicher Hand.

Viel ist in Grünau in der Vergangenheit geschehen. Der Stadtteil ist nach wie vor kein Paradies, aber auch nicht der verabscheuungswürdige Slum oder die langweilige Vorstadtsiedlung, als der er oft dargestellt wird. Grünau ist mir längst ans Herz gewachsen und doch gibt es immer wieder Missstände, die kritikwürdig sind und gesagt werden sollten. Falls ich dabei zukünftig mal wieder zu hart mit Förderern, Einwohnern und Stadtteilprotagonisten ins Gericht gehen sollte, nehmen Sie es mir bitte nicht übel. Verstehen Sie diese Kritik lieber als kleine und gut gemeinte Denkanstöße von Außen, die helfen sollen, Ihr Viertel noch lebens- und liebenswerter zu gestalten.

Ihre Klaudia Naceur
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