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Drei Leipziger Bergsteiger bezwangen den 8201 m hohen Cho Oyu

Interview mit dem Expeditionsleiter Dr. Olaf Rieck

Cover Im März 1999 brach ein Team, bestehend aus acht Leipzigern, zum Cho Oyu auf. Somit hatte die erste Leipziger Himalaja-Expedition ihren »praktischen« Anfang gefunden.

Vorausgegangen waren zwei Jahre Vorbereitung, Training, Sponsorensuche, wobei besonders der Expeditionsleiter Dr. Olaf Rieck immer wieder die Initiative ergriff und erfolgreich Mittel und Partner akquirierte. Grün-As-Redakteur Uwe Walther sprach aus Anlass des ersten öffentlichen Vortrags der CHO OYU-Expedition in Leipzig, im Grünauer KOMM-Haus (am 11.9. um 20 Uhr), mit Dr. Rieck.

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Welches war die schwierigste Phase der Vorbereitungszeit?
Dr. Rieck
Zum Jahreswechsel 98/99 war die schwierigste Phase eingetreten, es war bei weitem noch nicht genügend Geld da, um die Expedition finanzieren zu können. In dieser Zeit machte ich mich noch einmal verstärkt auf die Suche nach Sponsoren bzw. Förderern und beschäftigte mich mit dem Einkauf von Ausrüstung, Essen, dem Schreiben von Briefen und hunderten Telefonaten, u.a. mit unserer Agentur in Nepal, da es Probleme zu klären gab, an die wir nie im Leben gedacht hätten. Zu dieser Zeit war die Vorbereitung aufwendiger als ein Fulltimejob im normalen Berufsleben.
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Aus welchen Bergfreunden setzte sich die Expedition zusammen, und wer stand letztlich auf dem Gipfel?
Dr. Rieck
Mit dabei waren Lydia Schubert (Sozialpädagogin), Reinhard Tauchnitz (Nachrichtentechniker), Wolfgang Ziegler (Elektoindustriemeister), Ingolf Speer (Bauingenieur), Windfried Kraus (Elektrohandwerksmeister), Toni Großmann (Elektromonteur), Expeditionsärztin Elisabeth Eulerich (Ärztin in Ausbildung) und Dr. Markus Stück (Dipl.-Psychologe). Markus Stück war nur bei der Aklimatisationstour dabei und flog, nachdem wir wieder in Kathmandu eintrafen, direkt nach Leipzig, von wo er die Daten, die wir vom Berg via Satellit in die Heimat sendeten, auswertete. Die Daten wurden dann von ihm direkt an uns zurückgesandt. Weiter waren Lutz Protze und Thomas Türpe (Kamerateam/mdr) und ich mit am Berg (Dr. Olaf Rieck als Expeditionsleiter von Beruf Tierarzt - Anmerkung der Redaktion). Auf dem Gipfel des Cho Oyu standen letztendlich Winfried Kraus, Thomas Türpe und ich.
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Gab es unerwartete Probleme vor Ort?
Dr. Rieck
Zum Beispiel die Offenbarung einiger Expeditionsteilnehmer vor Ort, aber auch der Transport vom Fahrer- ins Basislager entwickelte sich zum Problem. Im Vorfeld hatte unsere Agentur ausgerechnet, dass man 30 Yaks (tibetische Hochlandrinder oder wörtlich übersetzt tibetischer Grunzochse) benötigt, um die 2.000 kg zum Lager zu transportieren. Vor Ort stellte sich aber heraus, dass die Yaks nur 40 kg tragen sollten, nicht 60 kg wie geplant, somit fehlten uns etwa 20 Tiere für den Transport. Dieses Problem lösten wir auf die ortsübliche Art und Weise, wir bestachen den chinesischen Verbindungsoffizier. Somit hatten wir Geld für die Yaks gespart, was wir in der Größenordnung auch nicht gehabt hätten.
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Was war das prägendste Erlebnis am Berg?
Dr. Rieck
Das herausragendste Erlebnis am Berg war für mich der Abstieg vom Gipfel. Gelesen hatte ich dies von anderen Bergsteigern schon des öfteren, aber man glaubt ja, einem selbst geht das nicht so, oder man hat solche Situationen schon selber erlebt. Aber nachdem ich auf dem Gipfel stand, fiel jegliche Motivation von mir ab, und es gingen eklatante Veränderungen in mir vor. Auf einmal hatte ich kein Ziel mehr vor den Augen. Obwohl jeder Bergsteiger ein Ziel haben müsste, das Überleben. Ich fühlte mich auf dem Gipfel noch topfit, aber als wir beim Abstieg zum Lager 3 aufbrachen, wurde ich aufeinmal schlapp und hatte Koordinationsprobleme. Einfachste Dinge, wie sich in, das Fixseil einzuhängen und mit der Acht abzuseilen, waren kaum mehr möglich. Die letzten Meter vorm Zelt des Lagers 3 bin ich mehrfach umgefallen und teilweise nur noch gekrochen. Im Zelt angekommen konnte ich nichts zu mir nehmen, ich übergab mich sofort. Dann fiel ich in einen Tiefschlaf, wobei mein letzter Gedanke war - hoffentlich wachst du wieder auf. Dies hatte ich vorher noch nicht erlebt.
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Man hört, dass bei solchen Expeditionen, wo es in den Grenzbereich menschlicher Leistungsfähigkeit geht, fast immer Differenzen entstehen, war das bei euch auch so?
Dr. Rieck
Das war bei uns in der Tat auch so, woran das liegt, kann ich mit Sicherheit nicht sagen. Vielleicht daran, dass man wochenlang dicht aufeinander hockt und man sehr aufeinander angewiesen ist, und dies gibt zwangsläufig das Potential für solche Spannungen. Bei einigen gab es überhaupt keine Probleme, da klappte es richtig gut, aber mit anderen wiederum lief es extrem schlecht. Fazit für mich ist, nur noch mit einem kleinen Team zu fahren, das absolut auf das Ziel fixiert ist.
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Ihr wart auch in ein wissenschaftliches Projekt eingebunden, was beinhaltete dieses im konkreten?
Dr. Rieck
Dieses Projekt haben wir realisiert, weil dadurch unsere Expedition interessanter für die Sponsoren wurde. Durch die Untersuchungen, die wir durchführten, wurde der mdr auf uns aufmerksam. Die wissenschaftlichen Untersuchungen wurden gemeinsam mit dem Stressforschungsinstitut Berlin und dem Institut für angewandte Psychologie der Uni Leipzig durchgeführt. Dabei ging es um die Erforschung von Stressphänomenen bei Bergsteigern/Kosmonauten. Da man aber bekanntlich Kosmonauten nicht so gut erreicht wie Bergsteiger, hatten wir das Glück und natürlich den »Stress«, das Projekt durchführen zu können. Wir trugen zehn Wochen lang ein Hautwiderstandmessgerät und mussten täglich mehrere Fragebögen ausfüllen. Diese Messergebnisse wurden per Internet bzw. Satellitentelefon, nach Deutschland gesandt. Ergebnis war, dass der Mensch in Extremsituationen vier Stressstadien erleben kann. Näheres über die Ergebnisse erfährt man sicherlich beim Psychologen des Projektes.
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Bei wem möchtest du dich im nachhinein besonders bedanken?
Dr. Rieck
Besonders möchte ich mich bei der ALPIN-Bau GmbH bedanken, die schon da waren, als uns noch niemand kannte und sozusagen in ein Projekt investierte, obwohl es noch nicht sicher war, ob die Expedition überhaupt stattfinden würde. Weiterhin bei allen anderen Sponsoren wie der Sparkasse Leipzig, die uns großzügig unterstützte, der IMO Leipzig, dem Reisebüro Arcadia und der Lufthansa und nicht zu vergessen Messedruck Leipzig. All die genannten Sponsoren unterstützten uns, obwohl wir vorher noch keine Achttausender-Expedition erfolgreich durchführten.
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Gibt es schon Pläne für die Zukunft?
Dr. Rieck
Ja, am 25. September geht es wieder in den Himalaja, und wir wollen dort einen unbestiegenen Sechstausender besteigen. Welcher es wird, hängt von der Erteilung des Permits ab, ob der Num Ri oder der Cho Pulu. Im nächsten oder übernächsten Jahr ist eine weitere Achtausender-Expedition in Planung, da soll es zum Shisa Parma oder zum Gasherbrunn I oder II in Pakistan gehen. Sollten wir diese Expedition erfolgreich absolvieren, so werden wir, und das ist ziemlich gewiss, eine Expedition zum Everest vorbereiten. Diese Besteigung soll mit fairen Mitteln erfolgen, was bisher nur von 3-4 Expeditionen beherzigt wurde.

Grün-As bedankt sich für das Gespräch und wünscht für die nächsten Projekte alles Gute, Hals- und Beinbruch und immer eine schöne Sicht vom »Gibbel« (bergsteigersächsisch für Gipfel).

Uwe Walther
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