Grün-As

»Alle an einem Strang ziehen«

Interview: Stefan Geiss, Abteilungsleiter im ASW

Am 1. Mai 2007 hat Stefan Geiss seine Tätigkeit als Abteilungsleiter im Amt für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung (ASW) aufgenommen und ist seither für den Leipziger Westen - also auch für Grünau - zuständig. »Grün-As« sprach mit ihm über die Entwicklung des Stadtteils im vergangenen Jahr, über bereits Erreichtes und Zielstellungen für 2008.

Bild
Stefan Geiss
Klaudia Naceur
Mit dem Beginn einer solchen Arbeit sind doch sicher auch ganz persönliche Zielstellungen verbunden. Welche waren das in Ihrem Fall und haben Sie diese erreicht?
Stefan Geiss
Ich bin mit der Hoffnung angetreten, dass meine Erfahrungen und mein Handeln einen konkreten Stadtentwicklungsprozess beeinflussen können. Ich wollte und ich will mitgestalten. Diese Erwartung hat sich erfüllt. Natürlich stößt man an gewisse Grenzen. Die Verwaltung ist da wie ein großer Tanker. Kursänderungen kann und sollte man nicht ruckartig machen.
Klaudia Naceur
Hat Sie das verwundert?
Stefan Geiss
Nein, ich habe das nicht anders erwartet. Entscheidungsfindungsprozesse, wie beispielsweise die im Laufe des Jahres vollzogenen zur Präzisierung der Entwicklungsziele Grünaus, sind sehr kompliziert. Da gilt es, viele verschiedene Interessen zu berücksichtigen.
Klaudia Naceur
Würden Sie sagen, dass man in Grünau akzeptable Lösungen gefunden hat? Die ursprüngliche Entwicklungsstrategie wurde ja zunächst heftig kritisiert.
Stefan Geiss
Das ist richtig. Aber die weitere Diskussion mit den Grünauern, mit Unternehmen und innerhalb der Verwaltung hat gezeigt, dass die Entwicklungsstrategie deutlich mehr ist, als ein Papier für die Schublade. Sie ist eine solide Basis und ein allseits akzeptierter Rahmen, der nun schrittweise präzisiert wird, aber auch Anpassungen zulässt.
Klaudia Naceur
Wo lagen Ihrer Meinung nach die Fehler des ersten Strategiepapiers?
Stefan Geiss
Es gab und gibt aus der Sicht vieler Bewohner Schwächen - als Fehler würde ich das nicht unbedingt bezeichnen. Ein Problem ist sicherlich, dass die Unsicherheit, wie Stadtumbau und Rückbau in den nächsten 15 Jahren ablaufen werden, nicht beseitigt ist. Dennoch ist in dieser Hinsicht schon die erste Strategie ein Fortschritt zur vorherigen Situation gewesen und die Diskussionen haben dazu geführt, dass die städtische Position in der Überarbeitung nochmals klarer geworden ist. Inhaltlich wichtig ist, dass man versteht, dass nicht alles außerhalb der Stabilisierungskerne potentieller Rückbaubereich ist. Man kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt für diese Bereiche einfach nicht sagen, wie sie sich weiter entwickeln werden. Klar geworden ist auch, dass eine allgemeine Planung für Grünau insgesamt schwierig ist. Grünau ist ein sehr großer Stadtteil und es ist für manche Fragen sinnvoller und einfacher, einzelne Quartiere für sich zu betrachten. Auf diese Weise finden wir auch leichter gemeinsame Lösungen mit den Wohnungseigentümern.
Klaudia Naceur
Diese hatten ja - soweit bekannt - ihre Mitwirkung zunächst komplett in Frage gestellt, beziehungsweise vor allem im WK 8 konkret begonnen, Sanierungen vorzunehmen, die den Plänen der Stadt eigentlich entgegenstanden. War das eine Trotzreaktion?
Stefan Geiss
So würde ich das nicht nennen. Aber es zeigt, dass man die Quartiere einzeln in ihrer Entwicklung sehen muss. Es gibt Lagen, Wohnungen und Mieten in den angesprochenen Komplexen 7 und 8, die sind gut und haben eine hohe Akzeptanz bei den Bewohnern. Dort ist es sicher nicht sinnvoll, Wohnraum vom Markt zu nehmen. Aber es gibt auch weiterhin Leerstände und Vermietungsschwierigkeiten. Die bisherige Vorgehensweise, Leerstand in bestimmten Gebäuden zu konzentrieren und letztlich diese Wohnungen vom Markt zu nehmen, war und ist richtig und zweckmäßig.
Klaudia Naceur
... um andere Quartiere zu stärken?
Stefan Geiss
Ja, aber auch, um innerhalb der Wohnkomplexe Qualität zu erhalten. So hat zum Beispiel jeder Wohnkomplex sein Stadtteilzentrum mit dazugehöriger Infrastruktur. Diese gilt es zu erhalten beziehungsweise weiter zu entwickeln.
Klaudia Naceur
Nun sind aber in der Vergangenheit gerade in den so genannten Stadtteilzentren eher gegenteilige Entwicklungen zu beobachten. Ich denke da vor allem an das Jupiterzentrum im WK 7, wo der Abbruch von Häusern auch den Wegzug des Einzelhandels nach sich zieht.
Stefan Geiss
Das Problem dabei ist, dass die Stadt natürlich niemanden dazu zwingen kann, an einer bestimmten Stelle einen Laden zu betreiben. Wir können nur versuchen, etwaige Konkurrenz zu den Zentren einzudämmen, die durch autogerechte Supermarkt- oder Discounterstandorte entsteht - und selbst das stößt an Grenzen. Das ist aber kein Grünauspezifisches Problem, sondern gilt für ganz Leipzig.
Bild
Stefan Geiss
Klaudia Naceur
Apropos: In welchem Kontext steht Ihrer Meinung nach die Grünauer Entwicklung zum gesamten Stadtgebiet?
Stefan Geiss
Wir haben immer die Gesamtsituation im Blick und die ist momentan so, dass die Zunahme von Wohnungsüberhängen in der Gesamtstadt zunächst gestoppt wurde. Die Einwohnerentwicklung in letzter Zeit ist positiv und davon profitiert auch Grünau - wenn auch nur mit einem langsamer verlaufenden Einwohnerrückgang. Plakativ könnte man vielleicht sagen: Je attraktiver die Gesamtstadt, desto stärker partizipieren logischerweise die Stadtteile als Wohnungsstandorte.
Klaudia Naceur
Darüber hinaus soll die Erarbeitung von einem oder mehreren Profilen helfen, den Standort Grünau zu bewerben. Hat sich ein solches Profil schon herauskristallisiert und wie sinnvoll ist das überhaupt?
Stefan Geiss
Das Profil ist die Grundlage für ein funktionierendes Image nach Innen und Außen. Und ich halte diese Arbeit für sinnvoll, das Profil muss nur wirklich fundiert sein. Menschen, die eine Wohnung suchen, wägen die für sich relevanten Qualitäten ab und das Profil eines Stadtteils, sprich die Besonderheit, die damit herausgestellt werden soll, kann dabei helfen, bestimmte Zielgruppen anzusprechen. Grünau ist beispielsweise im Bereich Kinder- und Familienfreundlichkeit gut aufgestellt. Dafür spricht nicht nur die Dichte an Kinder- und Bildungseinrichtungen, sondern auch die gute Verkehrsanbindung und Nahversorgung. Grünau als Bildungsstandort wäre demnach eine denkbare Variante, die funktionieren kann, wenn die vorhanden Potentiale genutzt und gezielt ausgebaut werden.
Klaudia Naceur
Und dieses Profil soll dann mit Hilfe einer Imagekampagne kommuniziert werden?
Stefan Geiss
Das ist der zweite Schritt. Wichtig ist, so ein Profil einem Stadtteil nicht überzustülpen, sondern es zu erarbeiten. Im Laufe dieses Prozesses kann es praktisch schon für sich selbst werben. Bleiben wir beim Beispiel Bildungsstandort. Grünau hat wie gesagt gute Voraussetzungen, sich in diese Richtung zu profilieren. Doch allein die Dichte von Einrichtungen reicht wahrscheinlich nicht. Der nächste Schritt wäre eine enge Kooperation, was die Zusammenarbeit zwischen Lehrern, Betreuern und Eltern verschiedener Einrichtungen einschließt. Ein solches Netzwerk, welches übrigens im Bildungssektor eher unüblich ist, kann unter anderem den Vorteil haben, dass die Übergänge zwischen Kita und Grundschule oder Grundschule und Mittelschule, beziehungsweise Gymnasium sowie der Übergang in den Beruf optimal stattfinden. Derartige Synergien erzeugen dann positive Signale, die sich verbreiten können.
Klaudia Naceur
Also keine Kampagne in absehbarer Zeit, wie von vielen zur Imageverbesserung gefordert?
Stefan Geiss
Eine Imagekampagne ist dann sinnvoll, wenn die Inhalte, die transportiert werden sollen, vorhanden sind. Zurzeit sind wir auf dem Stand, dass die Bildung - um bei dem Beispiel zu bleiben - sehr wohl untersetzt ist, die Qualität sich benennen lässt und nun langfristige Schritte eingeleitet werden können, um eine noch bessere Situation zu schaffen. Da sind aber nicht in erster Linie das ASW oder die Stadt gefragt, sondern vor allem die Stadtteilakteure und nicht zuletzt die Eigentümer. Wir sehen unsere Rolle vor allem darin, den Prozess voranzutreiben. Übrigens wäre das Lernfest 2009, wenn es gut nach außen wirkt, eine gute Möglichkeit, die Profilierung Grünaus auch ohne Imagekampagne voranzutreiben.
Klaudia Naceur
Das ist ganz schön weit in die Zukunft geschaut. Bleiben wir mal bei 2008. Was wird es den Grünauern in punkto Stadtentwicklung bringen?
Stefan Geiss
Zunächst ist abzusehen, dass die Rückbaumengen im nächsten Jahr geringer werden. Wir kommen in eine Phase, in der wieder deutlich sichtbare Qualitätssteigerungen umgesetzt werden. Eine zentrale Maßnahme, die wir hoffentlich mit Förderung des Bundes und des Landes umsetzen können, ist der Umzug des Theatriums vom WK 7 in die Alte Salzstraße im WK 2, für den nach monatelangem Ringen nun endlich die verwaltungsseitige Entscheidung gefallen ist. Für den Umbau und die Erweiterung des bereits vorhandenen Gebäudes sieht das ASW 600.000 Euro vor. Des Weiteren werden für insgesamt eine Million Euro der Schulhof der 80. Grundschule umgestaltet sowie die Schule um ein Gebäude erweitert. Und die lang geplante Skaterhalle soll auch in diesem Jahr fertig gestellt werden. Wir erhoffen uns von der Konzentration dieser Maßnahmen im WK 2 eine Signalwirkung in Richtung Verjüngung dieses Wohnkomplexes.
...was wiederum zur Profilbildung beiträgt.
Klaudia Naceur
Ein Aufregerthema wird sicher auch in diesem Jahr die Nachnutzung frei gewordener Flächen sein. Gibt es diesbezüglich gezielte Maßnahmen?
Stefan Geiss
Es gibt das Grünstrukturkonzept, welches wir zum Forum im November vorgestellt haben, aber das Thema ist ziemlich kompliziert.
Bild
Klaudia Naceur
Warum?
Stefan Geiss
Unter anderem, weil eine qualifizierte Nachnutzung ein finanzielles Problem ist, das die Stadt alleine nicht lösen kann - zumal ihr ja die Flächen größtenteils nicht gehören. Natürlich sind wir bemüht, mit den Wohnungsunternehmen Lösungen zu erarbeiten, um Freiflächen sinnvoll nachzunutzen, aber unsere Einflussmöglichkeiten sind derzeit begrenzt. Wir müssen wirtschaftliche Zwänge akzeptieren, versuchen allerdings mögliche Perspektiven aufzuzeigen. Es wird sich zeigen, ob das Grünstrukturkonzept und neue Instrumente weitergehende Lösungen möglich machen.
Klaudia Naceur
Was könnte das im Einzelfall heißen?
Stefan Geiss
Zum Beispiel, dass konkrete Kooperationen vereinbart werden. Wenn beispielsweise ein Eigentümer durch den Abbruch eines Gebäudes eine Freifläche hinterlässt, könnten sich andere Unternehmen, die in unmittelbarer Nähe Wohnungen vermieten möchten, an der Nachnutzung beteiligen, um das Umfeld attraktiv zu gestalten. Wir als Stadt müssen Vorschläge machen, wie sich die Qualität des Stadtteils insgesamt erhöhen lässt.
Klaudia Naceur
Ist das nicht zu viel von den eigentlich konkurrierenden Unternehmen verlangt?
Stefan Geiss
Das ist ja nur ein mögliches Szenario. Aber so abwegig ist das meines Erachtens nicht, denn trotz Konkurrenz müssen doch letztlich alle an einem Strang ziehen, um Grünau voranzubringen.
ImageLink
Klaudia Naceur
Ein schönes Schlusswort, das sich sicher auch auf alle beteiligten Akteure übertragen lässt. In diesem Sinne vielen Dank für das interessante Gespräch, Herr Geiss.
Weiter>>>
Karte