Grün-As

Trübe Aussichten?

Zoff um den »Kulki«-Zustand: Drastische Worte von Seefreunden und städtische Zurückhaltung

Grünaus Badewanne entwickele sich zum »Gülle-See von Leipzig«, mahnen die Taucher. Stadt und Freistaat kontern: Der Kulkwitzer See sei eines der besten Badegewässer in Sachsen. Das Außergewöhnliche ist: Beide Darstellungen haben, vielleicht weniger extrem gesprochen, durchaus ihre Berechtigung. Denn während die Taucher von weit unten Material für schockierende Fotos aus dem Trüben fischen, berufen sich die Ämter auf aktuelle Gutachten und werden von unabhängigen Experten bestätigt: Das Badewasser ist nicht in Gefahr.

Über das Fotografieren sei sie zur Seeliebhaberin geworden, sagt Elke Göbel. Die Grünauerin betreut die vom Naturschutzbund (NABU) Leipzig verantwortete Website www.kulkwitzersee.com. Was zunächst mit romantischen Motiven wie »Kulki bei Sonnenuntergang« begann, ist nun streckenweise eine Dokumentation problematischer Bilder, vor allem aus Unterwasseraufnahmen. So wird die informative Plattform auch zum Sprachrohr derjenigen, die von Anwohnern und den zuständigen Behörden mehr Aufmerksamkeit für den Kulkwitzer See fordern. Mit »Baden Sie gern in Scheiße?« wird beispielsweise das lieb gemeinte, aber völlig falsche winterliche Vogelfüttern kritisiert, welches das Ökosystem massiv stört.

Für eine Pressemitteilung haben sich vor einem Monat NABU, Taucher, Eisbader und Bootsverleiher zusammengetan, um stimmgewaltig zu skizzieren, wie es am und unter Wasser ausschaut. »Schockierend«, sagen Mitglieder des Tauchsportvereins Leipziger Delphine über erste Tauchgänge 2010. Der Zustand sei ein Drama, weil unter Wasser nur noch eine Sand- und Dreckwüste zu sehen sei. Bayrische Taucher überlegten gar ein Fernbleiben, weil sich die Anreise nicht mehr lohne. Ingrid Wittig vom gleichnamigen Bootsverleih kritisiert mangelnde Nachhaltigkeit, Fehler in der Bewirtschaftung und fürchtet einen zweiten Auensee. Carmen Puckelwaldt von den Leipziger Pinguinen beklagt vor allem das Verhalten »sogenannter Tierfreunde« - der Einstieg für die Eisbader sei an derselben Stelle kaum zweimal möglich, weil sich dort sofort Vogelkot anhäufe. Ein modriger Geruch umgebe den See.

Bild Weil sich das Bild am Ufer jedoch nicht oder nicht mehr wie beschrieben darstellt, geraten die unterzeichnenden Anrainer allerdings unter den Verdacht, die Gesamtsituation ein wenig zu heftig darzustellen. Parallel laufen Diskussionen über einen ungeliebten Bebauungsplan. Und die Stadt als Adressat der Angriffe schießt mit List zurück, vergleicht Äpfel mit Birnen und kann im inhaltlich begrenzten Probenmaterial (noch) keine Bestätigung für ernstzunehmende ökologische Probleme finden. Das Thema ist vielschichtig. Genauer gesagt mindestens zweischichtig. Denn wenn sich Ottonormalgrünauer über den klaren Wasserspiegel erfreut - und das kann er derzeit allen Unkenrufen um Trotz -, bleibt er wortwörtlich nur an der Oberfläche. 20 Meter weiter unten sind die Sichtweiten gering und das hochgepriesene Badewasser wohl deutlich schlechter, vor allem nach diesem vergleichsweise harten Winter.

Was Taucher schon seit längerem beklagen, bestätigt seit kurzem auch das Sächsische Landesamt für Umwelt in Dresden: »Die Beprobung im Mai hat ein Tiefen-Chlorophyllmaximum für die Südbucht ergeben. Es dominieren Goldalgen«, sagt Biologin Kerstin Jenemann. Zusammen mit dem städtischen Gesundheitsamt, das auf Gefährdungen für Menschen prüft, werden regelmäßig unterschiedliche Parameter erfasst - bisher führte das Material immer zur Bewertung »gut« für den ökologischen Zustand. Die aktuellen Daten bedürfen allerdings noch einer intensiven Auswertung. Jenemann sagt: »Die vorgeschriebenen Untersuchungen sind aber auch nicht ausreichend, um eine umfassende Aussage zu treffen.« Deswegen würden die Hinweise »sehr ernst« genommen, denn »die Taucher stecken ja auch tiefer drin.« Klärung könnte ein so genanntes limnologisches Gutachten liefern, das aber teuer sei.

Kaum verwunderlich, dass die Stadtverwaltung sich zurückhält, trickreich mit der hohen Badewasserqualität kontert und mittels Presse-Info auf grüne Qualitäts-Ampeln verweist. Dazu die betroffenen Anlieger im Chor: »Wenn die nicht mehr stimmt, ist ohnehin alles zu spät!« Unabhängige Seenforscher sind skeptisch, ob der ökologische Zustand tatsächlich so dramatisch zu bewerten ist: »Das Datenmaterial kann ein Anzeichen für den Anfang einer schleichenden Verschlechterung sein. Muss es aber nicht!«, sagt Martin Schultze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) in Magdeburg. So könne die mangelnde Wasserumwälzung auf dem lange zugefrorenen Kulki - das Tiefenwasser ist sozusagen »abgestanden« - eventuell natürlich ausgeglichen werden.

Mögliches Fazit: Harter Winter, kommt eben vor. Ob dies zu kurz greift, könnten laut Schultze nur langfristige Studien belegen: »Das ein oder andere Indiz ist da, aber das muss auf soliderer Grundlage stehen - und dies geht über die übliche Kontrollüberwachung hinaus.« Der Seenforscher empfiehlt eine enge Zusammenarbeit zwischen Stadt und Land, wenn es um weitere Schritte geht: »Fähige Leute gibt es dort jedenfalls, problematischer sind vermutlich Personalüberlastung und Finanzierung.« Von einer gravierenden Änderung sei derzeit nicht auszugehen, sagt Schultze, der zu dem Zeitpunkt aber noch nichts von den letzten Hinweisen weiß, die kurz vor Redaktionsschluss aus dem Landesamt eintreffen.

Wenn die Daten dauerhaft schlechter ausfallen, könnte die Experten-Interpretation bald der Sicht der See-Anrainer ähneln, wenn auch weniger in Superlativen. Nur langjährige Untersuchungen würden statt Zustand einen Prozess nachweisen. Ist das bewiesen, hätte die See-Lobby vermutlich gute Chancen, ein Umdenken zu erreichen. Einer von Schultzes Kollegen verweist jedenfalls darauf, dass anderswo Bebauungspläne bereits überdacht worden sind, um die Natur nachhaltig zu schützen. »Es handelt sich nach wie vor um einen der besten Seen«, sagt dagegen Angelika Freifrau von Fritsch. Aus den bisherigen Ergebnissen ergibt sich für die Leiterin des kommunalen Amts für Umweltschutz kein Handlungsbedarf, »zumindest kein akuter«. Die Daten ließen keinen signifikanten Trend in Richtung einer Verschlechterung erkennen, eine Prognose sei nicht möglich. Dennoch stellt von Fritsch auf Nachfrage weitere Aktivitäten in Aussicht, neben Gesprächen kommt eventuell das bereits erwähnte limnologische Gutachten auf die Agenda.

Dem NABU zufolge müssen aber schon jetzt erste Maßnahmen erfolgen. Leonhard Kasek sagt: »Der jetzige Zustand ist eine ernste Warnung.« Sein Katalog mit Empfehlungen ist umfangreich, einiges davon könnte in die Tat umgesetzt werden. Laut Amt für Umweltschutz wird die Einrichtung sauberer Toiletten bereits geprüft. Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal (Linke) denkt erstmals laut über Bußgelder fürs Vogelfüttern nach. Wie es sich mit einschneidenden Änderungsvorschlägen wie die Rückverlegung des Campingplatzes oder eine 100-Meter-Uferzone ohne neue Unterkünfte verhält, ist offen. Auch Kasek weiß: »Die Stadt hat kein Geld für nötige Maßnahmen und die zuständigen Ämter sind überlastet.« So müssen alle Forderungen auch mit dem Rahmen des Möglichen abgeglichen werden. Seenforscher Martin Schultze kann das Zögern der Stadt sogar nachvollziehen: »Wenn Sie begrenzte Mittel haben, geht es um demokratische Entscheidungen. Ein See für eine Minderheit auf höchstem Niveau zu halten, ist da schwierig.« See erhalten und dafür lieber ein Theater schließen - so müsse man die kommunalen Zwänge verstehen.

Doch trotz leerer Kassen hält Leonhard Kasek eine Investition in den See für zwingend. Denn wenn sich die Probleme bestätigen, wäre ein späteres Eingreifen viel teurer oder gar unmöglich. Eine »Naturkatastrophe« am Kulki kann sich die Stadt allerdings viel weniger leisten, ist der See doch zugleich Wohlfühl- und Wirtschaftsfaktor. Die Stadt sehe die Gegenwart und denke aus Zwängen heraus zu kurzfristig, meint Kasek. In dem Zusammenhang empfiehlt der Naturschützer ein unkompliziertes Teamwork. Um die Ableitung des Tiefenwassers zu ermöglichen, müsse sofort ein am Wasserspiegel anliegendes Rohr, die so genannte Freispiegelleitung, nach unten verlagert werden. »Wenn die Taucher die Installation übernehmen, müssten nur Material- und Transportkosten bezahlt werden.« Freifrau von Fritsch will sich dahingehend nicht festlegen, sagt vage: »Wir arbeiten oft mit Vereinen zusammen.«

Betont sachlich skizziert Dieter Florian von der Tauchbasis in Göhrenz die Thematik und verwehrt sich gegen die polemische Gangart. Dass jedoch die von den benachbarten Tauchern veröffentlichten Fakten übertrieben sind, glaubt Florian nicht. Zwar seien bei einem aktuellen Tauchgang auf »seiner« Seeseite Sichtweiten gemessen wurden, die üblich für die Jahreszeit seien. Dennoch erlebe der Unterwasserbeobachter langfristig schleichende Verschlechterungen, »auch wenn die angestellten Messungen nur begrenzt darauf hindeuten.« Fazit: Verbal daneben, in der Sache korrekt. Florians Unterstützung finden insbesondere Überlegungen zum Fütterverbot (»Zumal es kein Geld kostet!«) und zur Verlegung der Ableitung. Derweil ist die Debatte um Kulki-Zustand und Bebauung weiterhin im Fluss. Der Zweckverband, dem Vertreter beider angrenzenden Kommunen angehören, trifft sich Mitte Juni - vermutlich werden hauptsächlich oben genannte Probleme besprochen. Auch auf Markranstädter Seite tobt ein erbitterter Kampf der Anwohner gegen die touristische Verwertung. Ein für alle Interessierten offener NABU-Stammtisch findet am im Stadtteilladen statt.

Reinhard Franke
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