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Interview

mit Frau Dr. Sylvia Börner von der Volkshochschule Leipzig

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Frau Dr. Börner, seit 10 Jahren ist die Volkshochschule Leipzig nun schon in Grünau tätig. Wieso wurde ausgerechnet Grünau als VHS-Standort ausgewählt?
Dr. Sylvia Börner
Das stimmt nicht ganz: Erste Kurse vor Ort gab es bereits seit 1992 auch in Grünau, damals von einem Mitarbeiter auf ABM-Basis geplant. Der Stadtrat beschloss 1992 die Kommunalisierung der Volkshochschule Leipzig. Damit verbunden war die Ausgliederung des Nachholens von Schulabschlüssen (10. Klasse, Abitur) als Abendgymnasium. Die VHS wurde ein Amt der Stadt Leipzig und neu strukturiert. Diese sah auch ein Sachgebiet »Außenstellen« vor.
Als ich im Herbst für den Aufbau der Außenstellenarbeit der Volkshochschule Leipzig eingestellt wurde, gab es Angebote in Grünau und Paunsdorf und Orten im Leipziger Landkreis. Infolge der Kommunalisierung der VHS konzentrierten wir uns auf das Leipziger Stadtgebiet. Ich übernahm damit zwar einerseits das Vorhandene in Grünau und Paunsdorf, fand es jedoch richtig, den Bewohner/innen der Großwohnsiedlungen am Stadtrand die Möglichkeit zur Bildung und sinnvollen Freizeitgestaltung zu geben. Daraus entwickelten wir unseren Anspruch der »Bildung vor Ort« und der »VHS der kurzen Wege«.
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Wie hat sich das Grünauer Kursangebot der Volkshochschule Leipzig entwickelt?
Dr. Sylvia Börner
Im Jahre 1993 besuchten 156 Grünauer/innen 9 Englischkurse, im Jahr 1994 waren es bereits 634 Menschen, die sich in 42 Kursen gebildet hatten und im Jahr 2002 waren es 1510 Teilnehmer/innen in 137 Kursen. Eine enorme Entwicklung, wie ich meine!
Wir versuchen in Grünau, Kurse aus allen Themenbereichen anzubieten. Dazu gehören diejenigen Kurse, die man landläufig mit Volkshochschule verbindet, also Computerkurse, Bewegungstrainings, 10-Finger-Tastschreiben, Sprachkurse (Englisch, Französisch, Spanisch), aber auch Entspannungs-, Fitness- und Gymnastikkurse. Auf diesen Gebieten bauten wir auch in den ersten Jahren unser Programm in Grünau aus. Hinzu kommen die vielfältigen Angebote im Kreativbereich wie Korb flechten, Töpfern, Textiles Gestalten, Frühlings- und Adventskränze oder Kurse, die bei den Oster- oder Weihnachtsvorbereitungen helfen, Wer z.B. auf der Suche nach einem individuellen Geschenk ist, kann in unseren Kursen tolle Anregungen bekommen.
Kurse, die man nicht unbedingt bei uns vermutet, sind z.B. Tanzen (Gesellschaftstanz auffrischen, Jazz-Dance, Orientalischer Tanz), Gitarre spiele lernen, Outfitkurse, Vorträge, Multimediashows, Fahrradtouren in die nähere und weitere Umgebung Grünaus oder die ganz neu ins Programm aufgenommenen Kurse zum Umgang mit dem Handy.
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Fahrradtouren - das klingt interessant. Wohin geht es im neuen Frühjahrssemester?
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Dr. Sylvia Börner
Wir starten unsere Touren am 12. April mit einer Fahrt zu den Frühblühern in den Auwald und sind am 26. April unterwegs zur Reiherkolonie nach Gaulis. Im Juni kann man einen Vormittag im »tropischen Regenwald« des Botanischen Gartens erleben. Ganz besonders schön finde ich die Beobachtungstour durch Grünau am 17. Mai, bei der einheimische und z.T. vom Aussterben bedrohte Tiere und Pflanzen im Mittelpunkt stehen.
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Wie entsteht ein Programm? Wie kommen Sie auf neue Ideen?
Dr. Sylvia Börner
Einerseits versuchen wir als Bildungseinrichtung den Bedarf im Stadtteil zu ermitteln, herauszubekommen, was gerade »dran« ist. So sind z.B. die Computerkurse am Nachmittag für ältere Menschen entstanden oder die Kurzsprachkurse an nur einem Wochenende zur Vorbereitung auf den Urlaub, Wassergymnastik oder auch Angebote im Entspannungs- und Gymnastikbereich. Manchmal kommen die Leute auch direkt auf uns zu und äußern ihre Wünsche. So wurden der »Club der Nachdenklichen«, bei dem sich Grünauer/innen Zeit nehmen, um über selbst ausgewählte Themen zu sprechen, auf den Weg gebracht oder auch der »Orientalische Tanz«, ein neuer Kurs im Programm aufgenommen. Oder die vielen Foren und Podien zu aktuellen Stadtteilthemen. Andererseits bieten uns die Kursleiter/innen Themen an, bei denen entschieden werden muss, ob sie eine Chance in Grünau haben. Auf diese Weise wurde die erfolgreiche Veranstaltungsreihe »Klang - Stille - Raum. Musik und Meditation« in der Schönauer Kirche ins Leben gerufen oder der Kurs »Französisch kochen und sprechen« oder die vielen Angebote im Bereich kreatives Gestalten.
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Wie werden die Kurse in Grünau nachgefragt, welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Dr. Sylvia Börner
Insgesamt hat es eine enorme Entwicklung gegeben, wie Sie an den eingangs genannten Zahlen erkennen können. Ca. 10 % der genannten Angebote der Volkshochschule Leipzig finden in den Stadtteilen statt. Auch haben wir heraus gefunden, dass dort, wo wir vertreten sind (also im Zentrum, in Grünau und in Paunsdorf mit Engelsdorf, Holzhausen, Mölkau) die Nachfrage höher ist als im übrigen Stadtgebiet. Trotzdem müssen wir ca. 20 - 30% der Kurse aufgrund zu geringer Teilnehmer/innenzahlen absagen. Das tut mir sehr leid, zumal wir nicht immer den angemeldeten Interessent/innen eine Alternative bieten können.
Insgesamt ist es so, dass wir auf ein verändertes Lernverhalten oder auf die Bedürfnisse bestimmter Lerngruppen reagieren. Wir nehmen z.B. die Bedürfnisse älterer Menschen nach Bildung auf. Nicht nur mit den Englischkursen für Senioren. So gibt es im aktuellen Frühjahrssemesterprogramm für diese Grünauer/innen einen speziellen PC-Kurs, Wassergymnastik, Selbstverteidigung, Entspannungskurse, Kurse zum Umgang mit dem Handy, Ratgeberkurse zu dem Thema »Vorsorge im Alter: Vollmacht, Betreuung, Patientenbrief« und »Schminken und richtige Hautpflege im Frühling und Sommer«.
ImageLink Oder wir berücksichtigen, dass viele Menschen kleinere Gruppen bevorzugen, die ein intensiveres Lernen ermöglichen.
An dieser Stelle möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass unser Programmheft kostenlos erhältlich ist. Es liegt zum Mitnehmen bereit im Stadtteilladen, im KOMM-Haus, in den Stadtteilbibliotheken, in den Bürgerämtern, im Ratzelbogen, im Kontaktladen, im LIPSIA-Club und in den Grünauer Buchläden. Auch im Internet sind wir vertreten unter www.vhs-leipzig.de
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Wir haben jetzt viel über Kursangebote geredet. Gibt es noch mehr, was die Volkshochschule Leipzig in Grünau anbietet?
Dr. Sylvia Börner
Neben dem wohnortnahen, umfangreichen Kursprogramm war uns von Anfang an eine starke Stadtteilorientierung wichtig. Das bedeutet einerseits, an der Entwicklung des Stadtteils teilzuhaben und andererseits die Einwohner/innen als Expert/innen für ihr Lebensumfeld in die Arbeit einzubeziehen. So hat sich die Volkshochschule Leipzig seit 1993 als Podium zur Diskussion stadtteilrelevanter Fragen ebenso angeboten wie als Ort, an dem Menschen mit ähnlichen Interessen oder Problemen zusammen kommen, um gemeinsam an der Lösung von Problemen zu arbeiten. Dahinter steht eine Auffassung von Bildung, die diese als Befähigung der Menschen zu eigenem Urteilsvermögen und selbständigem Handeln versteht. Auf diese Weise war die Volkshochschule Leipzig z. B. auch bei der Entstehung des »Grün-As« beteiligt. Sie hat dem KOMM e.V. mit auf den Weg gebracht, war Mitorganisator der beiden europäischen Einwohner/innenkongresse (1996 und 2001).
Gegenwärtig steht das Thema »Stadtumbau« im Vordergrund. Im aktuellen Frühjahrsprogramm wird es auch hierzu wieder interessante Veranstaltungen geben, z. B. eine Podiumsdiskussion mit Rainer Fornahl (Mitglied des Bundestages), Albrecht Buttolo (Sächsisches Staatsministerium des Innern), Engelbert Lütke Daldrup (Planungs- und Baubeigeordneter in Leipzig) und einem Gewerbetreibenden am 12.05.2003 zu Risiken und Chancen des Stadtumbaus Ost in Grünau.
Bereits am 05.03.2003 stellt der Leiter des Amtes für Stadterneuerung und Wohnungsbauförderung die Ergebnisse der vorbereitenden Untersuchungen für die WK 7 und WK 8 vor und am 10.05.2003 werden wir uns die von dem berühmten Künstler Friedensreich Hundertwasser umgebaute Plattenschule in Wittenberg ansehen.
Die Volkshochschule Leipzig arbeitet auch aktiv in der Grünauer Agenda-Gruppe mit, die sich für einen lebenswerten Stadtteil einsetzt. Sie ist Mitglied in der Vorbereitungsgruppe »Forum Grünau« und in der Arbeitsgruppe »Quartiersmanagement«. Auch hat sie mit den von Bürgermoderator/innen als Expert/innen für Beteiligungsprozesse eine bisher deutschlandweit einmalige Ausbildung auf den Weg gebracht. Der Impuls hierfür ging von Grünau aus. Die erste Ausbildung fand im KOMM-Haus statt.
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Wenn Sie Bilanz ziehen müssten zu den vergangenen 10 Jahren, wie sähe diese aus?
Dr. Sylvia Börner
Bei der Vorbereitung unserer Ausstellung »Bildung vor Ort und VHS der kurzen Wege - 10 Jahre stadtteilorientierte Bildungsarbeit an der VHS Leipzig« habe ich mir noch einmal vor Augen geführt, dass wir mit den Grünauer/innen schon eine Menge geschafft haben, wenn auch nicht alles gelang, was wir uns vorgenommen hatten. Ich wurde an die mühsame »Raumbeschaffung« ebenso erinnert wie an die ersten Schritte der Beteiligung von Bürger/innen an Stadtentwicklungsprozessen oder an die ersten Projekte des »Stammtisches Grünau«. Wir mussten erst einmal wahrgenommen werden im großen Grünau. Eine Kursleiterin z.B. verteilte Handzettel für ihren Kurs »Problemzonengymnastik« - jetzt platzen ihre zwei Kurse förmlich aus allen Nähten. Heute liegen die Probleme und Schwierigkeiten auf anderen Ebenen. Grünau wird kleiner und verändert sich. Darauf müssen auch wir als Bildungseinrichtung reagieren.
Ich finde Grünau nach wie vor spannend, von hier gingen viele Impulse aus. Im »Forum Grünau« wurde einmal der Begriff von »Grünau als Stadterneuerungslabor« geprägt. Ich meine, das stimmt. Der Stadtteil steht vor neuen Herausforderungen und wird auch in dieser Beziehung wieder Vorreiter sein müssen. Ich bin dankbar, an diesem spannenden Prozess teilhaben zu dürfen.
Der Bildungsauftrag für die Volkshochschule Leipzig besteht auch in Zukunft darin, durch die gute Erreichbarkeit ihrer Angebote den Zugang zum Lernen für alle Bevölkerungsschichten zu erleichtern. Mit »Bildung vor Ort« und der »VHS der kurzen Wege« trägt sie auch zur Demokratisierung von Bildung bei.
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Vielen Dank für das Gespräch.
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