Grün-As

Es war nicht immer einfach...

Kleintierzüchterverein Leipzig-Grünau feiert 80-jähriges Bestehen (1)

Als sich am 12. Februar 1929 gut ein Dutzend Tierzüchter in der damaligen Gaststätte Otto Kreuzer am Lausner Weg zusammensetzten und den Kleintierzüchterclub-Grünau gründeten, ahnten sie sicher nicht, dass ihnen 80 Jahre später namentlich gedacht und gedankt wird. 35 Züchter, deren Partner sowie langjährige Freunde des mittlerweile zum Verein umgetauften Clubs, fanden sich zur Jubiläumsveranstaltung ein und feierten gemeinsam ausgelassen bis in die späten Abendstunden. »80 Jahre sind vergangen und es war nicht immer einfach«, erinnert der langjährige Vorsitzende Klaus Berthold in seiner kleinen Eröffnungsrede an die wechselvolle Geschichte des Vereins. Bereits einen Monat zuvor sprach »Grün-As« mit ihm und seiner Frau Erika über acht Jahrzehnte Kleintierzucht am Rande Leipzigs.

Bild Zeugnisse aus alten Tagen? Klaus Berthold muss gar nicht lange suchen. Dann hält er ein kleines Heiligtum in Händen: Das erste Kassebuch (kein Rechtschreibfehler, das Buch heißt tatsächlich so) - eine Chronik, die ganz ohne Illustration Geschichte lebendig zumachen vermag. Die Auflistungen aus dem Gründungsjahr verzeichnen beispielsweise gleich für die ersten neun Monate des Bestehens einen satten Gewinn für den Verein. Den sagenhaften 76 Reichsmark aus Mitgliedsbeiträgen stehen nicht minder erstaunliche Ausgaben von 8,50 RM entgegen. Aus der fein säuberlich verfassten Aufzeichnung springt einem die deutsche Gründlichkeit förmlich entgegen: Zunächst wurde Geld für das Kassendokument selbst, einen Handstempel und ein buntes Stempelkissen verbucht.

Erst drei Monate später - im Juni - gönnten sich die rund dreizehn Gründungsmitglieder einen Ausflug nach Kröllwitz und berappten zwei RM für einen Führer . »Allein aus diesen Aufzeichnungen lässt sich die Geschichte der Kleintierzüchter in Grünau schon ganz gut herauslesen. Aber wir haben natürlich auch eine richtige Chronik. Aus der geht unter anderem hervor, dass der Verein sogar durch schwierige Jahre wie Krieg und Wendezeit immer geführt wurde, stellenweise bis zu 144 aktive Mitglieder zählte und selbst die regelmäßigen Treffen an jedem zweiten Dienstag im Monat 60 Jahre lang eisern abgehalten wurden«, berichtet Klaus Berthold nicht ohne Stolz. Liebe- und aufopferungsvoll kümmert er sich gemeinsam mit einer Frau um die kleine Kaninchen- und Hühnerzucht auf dem Grundstück seines Siedlungshäuschens. Dieses ist seit 1920 in Familienbesitz - mittlerweile lebt die dritte Generation in der einstigen Laube, die Bertholds Opa gekauft, sein Vater gefestigt und er selbst letztlich ausgebaut hat.

Bild Anders als Erika Berthold - ein echtes Stadtkind - ist er mit Tieren groß geworden und hat sich die Passion seiner Eltern zu Eigen gemacht. »Ich bin erst durch Klaus an die Tierzucht herangekommen - das ist nun auch schon 21 Jahre her. Vorher hatte ich nie etwas mit Tieren zu tun«, erzählt sie von ihren Anfängen im Verein. Lange hat es allerdings nicht gedauert, bis sich die 58-jährige Leipzigerin reingefuchst hat. Längst sind die Hühnchen und Häschen auch zu ihrem Alltag geworden und ein Leben ohne die tierischen Gefährten nicht mehr vorstellbar . Während sich Bertholds und ihre zwölf verbliebenen Züchterkollegen heutzutage um »Kleinvieh« kümmern, standen bei ihren Vorgängern noch ganz andere Kaliber im Garten. Neben Kaninchen und Hühnern wurden in den Anfangsjahren auch Bienen, Enten, Puten, Gänse, Schafe, Ziegen und sogar ein paar Schweine gehalten. »In diesen Zeiten dienten die Tiere in erster Linie der Versorgung, obwohl auch damals schon gezüchtet wurde«, so Klaus Berthold, der mit 13-jähriger Unterbrechung seit 1973 den Vorsitz im Verein inne hat und des Amtes noch immer nicht überdrüssig ist.

»Warum auch«, sagt der 63-Jährige achselzuckend. »Die Aufgabe macht mir Spaß und erfüllt mich.« Nicht zuletzt geben ihm auch die eigenen Erfolge und die seiner Mitstreiter Recht, mit der Arbeit fortzufahren. Für die Züchtung seiner Zwerghuhnrasse »Sebright gold« und für die langjährige gesellschaftliche Tätigkeit im damaligen Bezirksvorstand errang er sogar die höchste Auszeichnung, die ein Züchter bekommen kann - die große Ehrennadel in Gold vom Verband Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter (VKSK). Darauf kann man natürlich besonders stolz sein, aber die Eheleute freuen sich auch über jede normale Bewertung, die sie mit ihren Tieren erhalten. Bei den regelmäßigen Schauen werden dann schon mal aus Nachbarn Kontrahenten. »Aber nur für kurze Zeit. Wenn ein anderer aus dem Verein einen Preis gewinnt, freuen wir uns natürlich mit ihm mit«, relativiert Erika Berthold ganz und gar uneigennützig. Für die Züchter ist bloßes Dabeisein zwar nicht immer alles, aber oft entschädigt sie allein das Interesse von Besuchern für die tägliche Pflege ihrer Kleintiere. Die Bewertungen - wenn sie gut ausfallen - sind dann das Tüpfelchen auf dem I.

Bild Wo ein laienhaftes Auge beispielsweise nur ein befelltes, mümmelndes, niedliches Kaninchen neben einem anderen wahrnimmt, sehen Experten und Richter zuweilen große Unterschiede. Klaus Berthold versucht, zu erklären, worin diese bestehen: »Es gibt verschiedene Leistungsmerkmale, nach denen bewertet wird. Um bei den Kaninchen zu bleiben, sind das beispielsweise das Fellkleid, die Zeichnung, Größe, Form, Gewicht, Gesamteindruck und so weiter. Diese Standards wurden bei manchen Rassen vor über 200 Jahren festgelegt und daran orientiert man sich als Züchter.« Jährliche Ausstellungen, wie in Taucha, Kitzen, Altranstädt, Schladebach oder im nahe gelegenen KOMM-Haus, sind für die Grünauer Zuchtfreunde die Höhepunkte des Jahres. Dort trifft man auf Gleichgesinnte, kann fachsimpeln und gemeinsam über längst vergessen geglaubte Geschichten lachen. Denn etliche Zuchterfolge - so wichtig sie im Einzelnen auch sein mögen - sind nicht alles, was so eine 80-jährige Vereinstradition aufzuweisen hat. Manche Anekdote - auch wenn sie nicht in der Chronik niedergeschrieben worden ist - kennt beinah jeder, so oft wurden sie bei Zusammenkünften erzählt.

Wie etwa die von der ausgetauschten Ziegenbockziege, die sich vor etwa 60 Jahren ereignete. Damals wollte Kleintierzüchter Wilhelm Rosch besagte Ziege zum Decken bringen. Unterwegs machte er im Gasthof »Grüne Aue« Halt und ließ die Ziege angebunden vor der Tür. Nach ein paar Bierchen setzte er seinen Weg fort - nicht ahnend, dass sein Tier derweil vertauscht worden war. Erst am Zielort merkte er, dass er in Begleitung eines Bockes unterwegs war, und drehte um. Auf dem Heimweg kehrte er in derselben Wirtschaft ein, um den Anwesenden die Geschichte zu erzählen. Als sie ihm diese nicht glaubten, wollte er, dass sie sich mit eigenen Augen davon überzeugen, doch siehe da: Aus dem Bock war wieder eine ganz normale Ziege geworden und der Mann machte sich vollends verwirrt auf den Weg nach Hause.

Bild Lustig ist auch jene, die eigentlich auch böse hätte enden können und sich zu DDR-Zeiten zutrug: Nach einem Kneipenbesuch wurde ein Zuchtfreund von zwei Herren verfolgt, weil dieser laut erzählte, dass er »heute noch einem Russen vor den Nichel buchen muss«. In der Annahme, der unbescholtene Kleintierzüchter wolle einem Angehörigen der in Grünau stationierten sowjetischen Streitkräfte Gewalt antun, nahmen sie den Ahnungslosen ins Gebet. Schnell stellte sich jedoch heraus, dass dieser lediglich, einem seiner so genannten Russenkaninchen ans Fell wollte und der vermeintlich politische Fall war damit aufgeklärt.

Im Kopf kreisen die alten Geschichten neben ein paar Bieren und Schnäpschen, in der Hand eine Tüte mit liebevoll kreierten Erinnerungsstücken an eine gelungene Jubiläumsfeier, auf den Lippen ein Dankeschön und die Versicherung, dass es wieder einmal sehr schön war - so verlassen die Zuchtfreunde der Siedlung Grünau nach und nach die Veranstaltung. Zu später Stunde trällern die letzten verbliebenen sechs Züchter, dass sie keine Polizeistund' kennen. Dann treten auch sie ihren Heimweg an. Morgen heißt es wieder früh aufstehen und die Tiere füttern. Der Züchteralltag hat sie wieder.

Klaudia Naceur
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