Grün-As

Würdig?

Kommentar von Klaudia Naceur

»Ich habe ja nichts gegen Ausländer, aber...« im günstigsten Fall folgen dieser Einleitung nachvollziehbare Argumente und beendet wird die Ausführung nicht selten mit einem mehr oder weniger diskriminierenden Vorurteil.

Was die Grünauer in den vergangenen Wochen massenhaft zu diversen Stadtteilgremien pilgern und lauthals intervenieren ließ, ist sicher einerseits nachvollziehbar: Die Stadt hat mit ihren Plänen, neben dem etablierten Flüchtlingsheim in der Liliensteinstraße eine weitere Massenunterkunft für Asylsuchende in Grünau zu öffnen, nicht nur die vermeintlich einfachste und billigste Variante gewählt und damit ihre eigenen Richtlinien konterkariert, sondern es vor allem versäumt, rechtzeitig damit an die Öffentlichkeit zu gehen.

Dem Eindruck, dass hier ein Vorhaben klammheimlich und vor allem zügig ohne viel Zeit zur Bürgerbeteiligung verwirklicht werden sollte, kann man sich tatsächlich nicht ganz entziehen. Der Protest ist daher in gewisser Form verständlich. Die Argumentation der Widerständler hingegen hinkt an vielen Stellen. Unstrittig ist, dass der Stadtteil seiner gesellschaftlichen Verantwortung mit der überdimensional hohen Dichte an Einrichtungen für Menschen mit Behinderungen und Förderschüler sowie einer großen sozial schwachen Bewohnerschaft nachkommt. Unstrittig ist ebenso, dass Grünau bereits jetzt 40 Prozent der in Leipzig ankommenden Asylsuchenden aufnimmt. Der Vorwurf, dass durch ein weiteres Flüchtlingsheim das ohnehin angeschrammelte Image geschädigt würde, birgt allerdings bereits im Ansatz die Diffamierung der ungewollten neuen Nachbarn.

Kritik am ursprünglichen Konzept Standort Weißdornstraße ist natürlich angebracht. Aber nicht, weil 180 ausländische Bewohner die Ruhe im Stadtteil stören könnten, sondern weil die Art der Unterbringung mit Gemeinschaftssanitäranlagen und Zimmern, in denen mindestens zwei, sich wildfremde Menschen auf engstem Raum zusammenleben müssen, menschenunwürdig und daher abzulehnen ist. Auch dieses Argument hört man in den letzten Wochen vermehrt von den Bewohnern der WK's 1 bis 3 - gleichwohl dieselben Leute, die plötzlich für das Wohlbefinden der Flüchtlinge auf die Barrikaden gehen, sich jahrelang nicht um die Würde der Menschen in der bisherigen Massenunterkunft Torgauer Straße gekümmert haben.

Mag sein, dass es menschlich ist, gewisse Dinge erst dann wahrzunehmen, wenn sie ins eigene Blickfeld rücken. Mag auch sein, dass es die Mehrheit derer, die sich gegen den Standort Weißdornstraße wehren, ernst meinen mit ihrer zum Ausdruck gebrachten Sorge um die Menschenrechte. Leider waren diese Stimmen bei der mit 500 Anwohnern bislang größten Bürgerversammlung zum Thema kaum hörbar. Stattdessen wurden Ressentiments und Vorurteile gepflegt, Ängste geschürt, Erklärungs- oder Rechtfertigungsversuche seitens der Verantwortlichen niedergebrüllt oder höhnisch weggelacht. Auch wenn im Gegensatz zu vergleichbaren Veranstaltungen in Wahren oder Portitz, nur ganz vereinzelt rassistisch argumentiert wurde, war diese Demonstration der Grünauer Wutbürger einer offenen, aufgeschlossenen und toleranten Gesellschaft unwürdig.

Weiter>>>
Karte