Grün-As

Die verlorenen Orte in Grünau

Enno Seifried im Interview über die lost places und deren Geschichten

Für die Grünauer sind sie längst zum gewohnten Bild geworden - leer stehende Gebäude, Schulen, Kaufhallen, teilweise ganze Häuserblöcke. Neudeutsch heißen sie lost places - verlorene Orte und sie sind nicht nur hier zu finden, sondern in ganz Leipzig. Mehr noch: Die Stadt gilt als regelrechtes Mekka für Leute, die solche, dem Verfall preisgegebenen Plätze aufsuchen, dort herumstöbern, fotografieren oder einfach nur die Kulisse auf sich wirken lassen.

Der Filmemacher Enno Seifried dokumentiert in seinem knapp 100-minütigem Film »Geschichten hinter vergessenen Mauern« einen Blick auf seine Heimatstadt, der sich der normalen Betrachtung verschließt und nicht zuletzt darum auf großes Interesse stößt. Im Rahmen des Kultursommers wird der Streifen auch in Grünau zu sehen sein. »Grün-As« unterhielt sich mit dem Dok-Filmer.

Grün-As
Was reizt dich an diesem Thema so sehr, dass du darüber einen Film gemacht hast?
Enno Seifried
Der Film war eher ein Zufallsprodukt, der aus meinem persönlichen Interesse entstanden ist. Ich habe mich seit meiner frühesten Jugend an solchen Orten rumgetrieben - das waren tolle Cliquen-Treffs, an denen man ungestört war. In den 90ern wurden dort wilde Techno-Partys gefeiert - natürlich illegal. Später kam die Leidenschaft fürs Fotografieren hinzu. In alten Fabrikgebäuden oder leer stehenden Hallen findet man hervorragende Motive. Es ist irgendwie spannend und aufregend, dort nach außergewöhnlichen Details zu suchen.
Grün-As
Suchen ist ein gutes Stichwort. Die Geo-Caching-Szene - also Leute, die sich mit einem GPS-Gerät auf moderne Schnitzeljagd begeben, hat ebenfalls die lost places für sich entdeckt.
Enno Seifried
Genau. Dadurch ist mir erst bewusst geworden, dass ich nicht der einzige bin, der sich für solche Orte interessiert. Es gibt so viele Menschen, die sich tagtäglich in leer stehenden Gebäuden aufhalten - aus den unterschiedlichsten Gründen. Das habe ich versucht, im Film zu dokumentieren.
Grün-As
Aber nicht nur das. Du hast ja auch Leute zu Wort kommen lassen, die in Verbindung mit dem jeweiligen Ort stehen, ihn kannten, als er noch genutzt wurde.
Enno Seifried
Und das macht die Geschichte für mich so interessant. Wenn ich in einer alten Fabrikhalle stand und die ganzen Gerätschaften, alte Verbots- und Hinweisschilder oder ganz simple Dinge wie Notizen und dergleichen gesehen habe, dann kam bei mir die Frage auf, wie es wohl gewesen sein muss, als da noch Leben drin war.
Grün-As
Wie schwierig war es denn, solche Zeitzeugen aufzutun und sie für dein Projekt zu begeistern?
Enno Seifried
Als sich allmählich die Idee verfestigte, tatsächlich einen Film zu machen, habe ich recherchiert. Von den unzähligen lost places in Leipzig habe ich mir dann die herausgepickt, über die es tatsächlich etwas zu erzählen gibt. Anfänglich war es ein wenig mühsam, aber dann ergab ein Kontakt den nächsten und die meisten, die wir für ein Interview anfragten, waren gern bereit auch vor der Kamera zu reden. Nicht zuletzt zeugt es ja auch von einem gewissen Interesse am Schicksal der Gebäude und der Menschen.
Grün-As
Gab es auch Ablehnung?
Enno Seifried
Ja, die gab es leider auch. Ein Gespräch mit der Bahn AG über den historischen »City«-Tunnel aus den 30ern kam nicht zustande. Die haben sogar geleugnet, dass es den Tunnel überhaupt gibt. (Es gibt ihn - Anmerkung der Redaktion.) Ein anderer Fall war die Treuhandliegenschaftsgesellschaft (TLG), der in Leipzig unglaublich viele leer stehende, aber vor allem prägnante Gebäude gehören. Die wollten partout nicht mit uns reden. Das war sehr schade.
Grün-As
Also konntest du gar nicht alle Plätze vorstellen, die du wolltest?
Enno Seifried
Das wäre ohnehin unmöglich gewesen, weil es zu viele davon gibt. Leipzig gilt neben Magdeburg als Mekka der lost places.
Grün-As
Was ist dein persönlicher Lieblingsort?
Enno Seifried
Oh - da gibt es einige. Das kann ich so gar nicht sagen. Der sowjetische Pavillon auf der alten Messe, das Astoria, der Bowlingtreff am Ring - das sind Orte, die jeder kennt und die natürlich ihre Reize haben...
Grün-As
Dann anders gefragt: Hat dich eine Geschichte oder ein Objekt während der Dreharbeiten besonders fasziniert?
Enno Seifried
Ja, in der Tat. Das ist der alte Postbahnhof in Schönefeld - nicht unbedingt wegen des Geländes, sondern hier hat mich das Konzept des neuen Eigentümers begeistert. Er plant auf der 100.000 Quadratmeter großen Fläche einen Kulturraum mit festem Flohmarkt, der in alten Eisenbahnwaggongs untergebracht werden soll. Die Waggongs stehen schon irgendwo und warten auf Abholung. Leider spielt die Stadt noch nicht so richtig mit. Das ist tragisch. Ich bin gespannt, wie sich das weiter entwickelt.
Grün-As
Apropos Entwicklung: Dein Projekt hat eine ziemlich rasante genommen. Warst du davon überrascht?
Enno Seifried
Absolut. Dass sich die Freaks der Geo-Caching-Comunity dafür interessieren, war klar, aber auch so viele ältere Menschen. Das hätte ich so nicht erwartet.
Grün-As
Der Film lief bislang 25 Mal in Leipzig, wird aber auch aus dem Ausland angefragt. Bist du stolz auf dein Werk?
Enno Seifried
So ganz allein mein Werk ist es ja nicht. Ich hatte eine Menge Unterstützung. Vor allem Susann Fiedler und Nina-Maria Föhr möchte ich an dieser Stelle erwähnen. Aber klar ist man auch irgendwie Stolz auf das Ergebnis. Ein Jahr Arbeit, davon zehn Monate Dreh- und Schnittzeit - das war eine nervenaufreibende Zeit.
Grün-As
Wird es eine Fortsetzung geben?
Enno Seifried
Das muss es sogar. Es sind noch längst nicht alle Orte dokumentiert. Die Zeit ist reif - nicht nur weil sich gerade sehr viele Leute für das Thema interessieren, sondern weil immer mehr solcher Plätze verschwinden. In fünf Jahren wird Leipzig ganz anders aussehen. Grünau sieht heute schon ganz anders aus, als du es kennst.
Grün-As
War es schwierig, hier einen verlorenen Ort für den Filmabend zu finden?
Enno Seifried
Das war tatsächlich nicht ganz einfach. Gemeinsam mit Uwe Walther vom KOMM-Haus, der die Idee hatte, meinen Film nach Grünau zu holen, habe ich lange nach geeigneten Veranstaltungsplätzen gesucht. Der Reiz, so einen Film an einem authentischen Ort zu zeigen, hat sich bei der Premiere im sowjetischen Pavillon bewiesen. Das ist noch einmal was ganz anderes, als in einem sterilen Kino. Deswegen wollten wir auch unbedingt in Grünau einen solchen Platz zur Vorführung finden. Sicher gibt es hier nicht die klassischen lost places, aber immerhin: Das Dach auf dem Ökumenischen Gästehaus wäre mein Favorit gewesen. Das ging nicht. Die Idee, eine Art Open Air Kino an der stillgelegten S-Bahn-Haltestelle Miltitzer Allee scheiterte abermals an der Bahn AG. Nun ist die Wahl auf den ehemaligen REWE-Markt am Jupiter-Zentrum gefallen - garantiert auch ein Ort mit vielen Geschichten.
Grün-As
Garantiert. »Grün-As« bedankt sich für das Gespräch und freut sich auf einen interessanten Kinoabend bei REWE.
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