Grün-As

WOGETRA legt Elfgeschosser in Breisgaustraße still

Genossenschaft pokert / Stadt unter Druck / Mieter kündigen Protest an

Der Coup scheint der WOGETRA zunächst gelungen zu sein: Am 8. November bestückte die Genossenschaft die Briefkästen ihrer Mieter in der Breisgaustraße mit Informationsbriefen und lud beinah zeitgleich diverse Stadtteilakteure zu einer Veranstaltung in den Stadtteilladen ein. Dort ließen sie die Bombe dann allerdings laut vernehmlich platzen.

»Aufgrund hoher Instandhaltungskosten, einer seit Jahren schwierigen Marktsituation und unattraktiver Grundrissen sei es ausgeschlossen, den Gebäudekomplex mit insgesamt 450 Wohnungen angemessen zu bewirtschaften.« Man habe sich daher dazu entschlossen, den mittleren Teil des S-förmigen Elfgeschossers bis spätestens Ende 2015 stillzulegen, bekamen die Anwesenden zu hören und die ahnungslosen Genossenschaftler zu lesen.

Ein Novum in der Stadtumbaugeschichte Grünaus und das vorläufige Ende jahrelangen Ringens um einen Kompromiss zwischen der Genossenschaft und der Stadt Leipzig. Hatte Letztere doch bereits 2007 eine per Stadtratsbeschluss verabschiedete Entwicklungsstrategie erarbeitet, die festlegt, dass der Kernbereich Grünaus, in dem sich der Plattenbaukoloss befindet, gestärkt werden und Abriss - wenn er denn vom Eigentümer angestrebt - dann nicht mit Fördergeldern unterstützt werden soll. Ein effektives Druckmittel, denn die wenigsten können Abbruch aus eigenen Mitteln finanzieren.

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Breisgaustraße

Auch die WOGETRA nicht und so hatte die Genossenschaft lange Zeit bei der Kommune und dem Freistaat um Gelder gebuhlt, um die ungeliebten Blöcke entlang der Breisgaustraße loszuwerden. Eine Abrissnotwendigkeit wurde stets mit der schlechten Vermietung begründet und darauf wiederum habe die WOGETRA massiv hingearbeitet, so der Vorwurf der entsetzten Mieter. Eine regelrechte Entmietungsstrategie werfen sie ihrer Genossenschaft vor. So seien die Bewohner verunsichert, die Häuser lediglich notdürftig Instand gehalten und Zuzüge seit mehr als zehn Jahren behindert worden. Ab 2002, so berichten Mietervertreter der betreffenden Immobilie, wurden Wohnungsinteressenten kaum noch ins Haus vermittelt oder sie bekamen nur befristete Mietverträge.

Das habe man alles schwarz auf weiß. Die Stilllegung jetzt mit dem selbst herbeigeführten hohen Leerstand - immerhin 40 Prozent - zu rechtfertigen, sei blanker Hohn und nicht hinnehmbar. Für sie sei die Lage der Häuser derart hervorragend und die Ausstattung so komfortabel, dass es geradezu offensichtlich sei, dass allein das Vorgehen des Vermieters für die schlechte Belegungsquote verantwortlich ist. Die Ergebnisse der WG Elsteraue in der vorderen Breisgaustraße seien dafür ein Beweis. Der Unmut unter den Bewohnern ist groß. Sie wollen bleiben, sie wollen kämpfen und sie fühlen sich veralbert. Bei einer eilends anberaumten Versammlung machen sie ihrem ersten Ärger Luft.

Aber es gibt auch leise und sehr traurige Reaktionen, wie Quartiersmanagerin Antje Kowski zu berichten weiß. Bei ihr stand in den Tagen nach der angekündigten Stilllegung das Telefon nicht mehr still. »Die Menschen sind verzweifelt, sie weinen am Telefon und wissen nicht, was sie tun sollen. Gerade die älteren unter ihnen, sind sehr verunsichert.« Was sie der Genossenschaft in erster Linie vorwirft, ist der Umgang mit ihren Mietern. Andere Eigentümer hätten derartige Maßnahmen im Vorfeld akribisch vorbereitet, hätten rechtzeitig einen Umzugservice eingerichtet und ein persönliches Gespräch gesucht. Das hätte sie sich auch in diesem Fall gewünscht. Die WOGETRA indes bietet Beratungsgespräche erst ab dem 6. Dezember an - lässt die Bewohner also beinah einen Monat allein mit ihren Ängsten.

Ängste, die angesichts einer unsicheren Zukunft nur allzu nachvollziehbar sind. Denn auch wenn die Genossenschaft bestrebt ist, die noch verbliebenen rund 90 Mietparteien der Eingänge 67 bis 73 in den beiden angrenzenden Blöcken unterzubringen, bleibt die Skepsis. Eine Zusage, dass zumindest diese Häuser dann dauerhaft Bestand haben, sei man ihnen auf Nachfrage schuldig geblieben, erzählt eine Mietervertreterin verständnislos und vermutet, dass die Stilllegung lediglich ein erster Schritt in Richtung Komplettabriss des Elfers ist.

Ein Verdacht, der nicht von der Hand zu weisen ist. Denn ist so ein Gebäude erst einmal leer gezogen, bietet es eine hervorragende Angriffsfläche für Vandalismus und Verfall, der schnell auch auf die nähere Umgebung übergreifen kann. Bislang fehlt jegliches Konzept seitens der WOGETRA, wie sie einer solchen Entwicklung Einhalt gebieten will. Dennoch sieht die Stadt, die trotz der jahrelangen Gespräche von den Plänen der Genossenschaft ebenso überrumpelt wurde, keine rechtliche Handhabe gegen das geplante Vorhaben. »Die Entscheidung über den Umgang mit seinem Eigentum obliegt dem Eigentümer«, teilt das Amt für Stadtsanierung und Wohnungsbauförderung (ASW) in einem Schreiben an »Grün-As« mit. Demnach lägen »zurzeit keine planungs- oder baurechtlichen Gründe vor, die ein Versagen (...) rechtfertigen würden.«

Dass die Stadt über die Entscheidung der WOGETRA, dennoch »not amused« sein dürfte, wird zwischen den Zeilen deutlich. Gefragt nach der Vereinbarkeit zwischen den definierten Entwicklungszielen und den geplanten Maßnahmen, äußert sich das Amt wie folgt: »Dabei ist von der Stadt Leipzig immer auf die aktuelle Beschlusslage zur Entwicklungsstrategie Grünau 2020 verwiesen und darauf hingewiesen worden, dass Maßnahmen in diesem Bereich zu einer Aufwertung des Stadtteils beitragen sollten und daher ein Komplettabbruch nicht unterstützt wird. Eine Bestandsanpassung in Verbindung mit einer nachhaltigen Modernisierung und Neuausrichtung der verbleibenden Bestände ginge mit der Entwicklungsstrategie konform. Ein Konzept der WOGETRA, das dieser Strategie Rechnung trägt, liegt derzeit nicht vor.«

Unterstellt man der WOGETRA einen dezenten Erpressungsversuch, so dürfte dieser wahrscheinlich ins Leere laufen. Zwar möchte man sicher einen derartigen Schandfleck im Herzen Grünaus vermeiden, aber die für den Abbruch benötigten Gelder fließen deswegen noch lange nicht. Eine Lösung muss her. Ob man dabei dem Wunsch der Mieter folgend, den kompletten Bestand der Häuser erhalten kann, ist fraglich. Freilich würde dies den Zielen des Stadtratsbeschlusses entsprechen und so viel Wohnraum wie möglich im Kernbereich bereithalten, um diesen zu stärken. Laut ASW hielte man den Kontakt zur Genossenschaft, um einen Kompromiss zu erzielen. Bleibt zu hoffen, dass dieser nicht weitere Jahre auf sich warten lässt. Denn Leidtragende sind in erster Linie die Mieter der Breisgaustraße sowie der gesamte Stadtteil.

Klaudia Naceur
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