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Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Tagebuchnotizen eines sächsischen Soldaten

Teil 2 - Die erste große Schlacht

Weiter geht es in Richtung Wien, in Eilmärschen an der Stadt vorbei bis nach Wagram. Dort stoßen die Sachsen auf die Österreicher und es kommt zur Schlacht. Die Kämpfe, bei denen sich 345.000 Soldaten gegenüberstehen dauern zwei Tage und kosten auf französischer Seite 34.000 Menschen das Leben. »Die Schlacht war so heftig, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte ...«

Bei einer Kanonenstellung muss Johann zur Deckung stehen und wird von einem Teil einer feindlichen Granate getroffen. »Ein heftiger Schmerz brach in meinem Arm los und die Uniform war voller Blut. Als der Chirurg mich ins Lazarett wies, hatte ich Angst, dass er gleich abgesägt würde. Zum Glück war es aber nur ein Riss, der genäht und verbunden wurde. Neben mir sah ich Kameraden, denen Arme und Beine fehlten. In der Ecke stand ein Korb voller Gliedmaßen - es war ein schrecklicher Anblick ...«

Die Verletzung bewahrt Johann zunächst vor weiteren Kämpfen und er kommt zurück nach Sachsen. Sein Regiment wird im Jahre 1810 aufgelöst und er kommt mit 420 Mann ins 1. Leichte Regiment. In den kommenden Jahren erwarten die sächsischen Soldaten einige Neuerungen: Ihre Uniform wird denen der Franzosen angeglichen, Befehle und Bewegungen für die leichte Infanterie müssen neu erlernt werden. Dennoch ist es für Johann eine ruhige Zeit. Die Ruhe vor dem Sturm, denn schon 1812 kommt das Signal für einen neuen Feldzug - dem nach Russland. Als Teil der Grande Armée Napoleons setzen sich 20.000 Sachsen in Richtung Russland in Bewegung - zu Fuß selbstverständlich. Insgesamt marschieren 610.000 Soldaten; Infanterie, Kavallerie, Artillerie und Versorgungstruppen in verschiedenen Kolonnen auf Moskau zu.

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Völkerschlacht Reenactment

»In diesem Land erleben wir die wunderlichsten Dinge. So hatten wir einmal bei einem kleineren Gefecht einige Verwundete, obwohl kein Schuss zu hören war.« Johann schreibt von einer Begegnung mit Baschkiren, die die Sachsen mit Pfeil und Bogen angreifen.

Im September legt die Marschkolonne eine fünftägige Rast ein. »Das Wetter ist schön. Wir haben Zeit, Baracken für die Nacht zu bauen und endlich können wir auch unsere Kleidung und Waffen reinigen - welch ein Wohlbehagen. Aber das Beste war doch der Feldgottesdienst, den wir heute Morgen halten konnten. Die Musikcorps unserer Regimenter spielten die beste Musik zu unserer geistigen Erbauung und der Pfarrer spendete Trost für all die erlittenen Strapazen. Doch geizte er auch nicht mit blutigen Szenen aus dem Buch der Bücher.«

Während Johann eine kurze Zeit der Erholung vergönnt ist, liefern sich Napoleon und die russische Armee eine der blutigsten Gefechte des 19. Jahrhunderts. In Borodino fallen insgesamt zirka 100.000 Soldaten, wobei der sächsische General von Thielmann mit seinem Reiterregiment die Tapferkeit der Sachsen unter Beweis stellt. Doch auch Johann und seine Gefährten müssen so manches Gefecht bestehen - so im August in Podobna und im Oktober bei Lesna. Der Sachse geht auf die 30 Jahre zu und ist spürbar abgestumpft von den vielen Dingen, die er erlebt und gesehen hat. Ganz deutlich wird dies aus einer Tagebuchaufzeichnung: »Heute geht es ohne Mahl aufs Stroh - obwohl man bei den umliegenden Bauern einen guten Ochsen beschlagnahmt und ihn gerecht geteilt hat. Als er im Topf kocht und sich Jeder schon auf das Stück Fleisch freut, greifen die Russen mit Kanonen an. Eine Kugel fliegt knapp an mir vorbei und enthauptet meinen Hintermann. Eine nächste reißt das wohl riechende Essen vom Feuer. Welch Kummer für alle hungrigen Kameraden ...«

Etliche folgende Seiten seiner Aufzeichnungen widmet Johann diesem Ereignis, während er den Tod seines Kameraden völlig unbeachtet lässt und gibt damit tiefe Einblicke in seine seelische Verfassung. Im November 1812 wird Johann ein zweites Mal verwundet. Bei Wolkowysk überfallen die Russen sein Regiment gegen 3.00 Uhr morgens. Wegen der Kälte hatte ohnehin keiner schlafen können, dennoch trifft sie der Schlag unerwartet und hart. Johann wird mit einem Bajonett am Bein verletzt und findet sich abermals im Lazarett wieder. »Wie erstaunt bin ich jedoch, als ich neben mir meinen alten Gefährten und Namensvetter Johann Carl Günther aus Schönau erkenne. In Österreich haben wir uns zum letzten Male gesehen. Der Ärmste ist kaum wiederzuerkennen. Sein Gesicht ist beinah gänzlich verbunden.«

Die Freude ist nur von kurzer Dauer - der Kamerad erliegt seiner schweren Kopfverletzung. Johann schwört, nach Kriegsende dessen Familie zu besuchen und ihr vom Tode des Freundes zu berichten, sollte er selbst überleben. Abgesehen von dieser tragischen Begegnung, erweist sich die erneute Verwundung als Glücksfall für Johann, entgeht er mit dem Abtransport in die Heimat doch dem Schicksal, welches die meisten seiner Kameraden erleiden werden.

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