Grün-As

Mit dem Fahrstuhl ins Zuhause

Ökumenisches Gästehaus schließt - Reinhart Mohrmann bleibt

Der Rummel um seine Person ist ihm eigentlich ein wenig unangenehm. Trotzdem ist Reinhart Mohrmann sichtlich gerührt, als er am 17.November unzählige Hände schüttelt, ebenso viele Telefonate führt, Blumengrüße in Empfang nimmt und sich über jeden einzelnen Besucher ehrlich freut. Der groß gewachsene Mann mit der angenehm ruhigen Stimme und dem jungenhaften Lachen feiert an jenem Tag mit Freunden, Bekannten und Kollegen seinen 65. Geburtstag - gut zwei Wochen später tritt er in den Ruhestand.

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Reihart Mohrmann

Fast zeitgleich verabschiedet sich auch das Ökumenische Gästehaus. Zum Jahresende wurde die letzte Grünauer Herberge für Einzelgäste geschlossen. Reinhart Mohrmann und das Ökumenische Gästehaus - zwei Namen, die für den Grünauer wohl untrennbar miteinander verbunden sind. Zehn Jahre lang kümmerte sich Mohrmann um die Geschicke des Hotels an der Weißdornstraße. Dass das von ihm aufgebaute Gästehaus seine Leitung gerade einmal um einen Monat überdauert hat, sieht er mit gemischten Gefühlen: »Man muss das aber auch von der sachlichen Ebene betrachten. Die Weiterbetreibung ist ökonomisch einfach nicht sinnvoll«, resümiert Reinhart Mohrmann pragmatisch.

Das Konzept der Herberge sah einst vor, mit der Internatszimmervermietung im gesamten Obergeschoss das übrige Zimmerangebot zu subventionieren. Mit dem Auszug der Mieter zum Ende des Schuljahres, lässt sich der Gästehausbetrieb allerdings nicht mehr aufrecht erhalten. Natürlich tue ihm das auch weh, sagt Mohrmann nachdenklich. Doch der 1943 in China Geborene, der dank seiner Eltern die ersten sechs Lebensjahre in diesem fernen Land verbrachte, hat schon früh gelernt, loszulassen. 14 Mal zog er in seinem späteren Leben um, kam 1949 nach Deutschland und wuchs in Mülheim an der Ruhr auf.

Während seiner neunjährigen Zeit in Hildesheim hatte er den Christlichen Verein Junger Menschen (CVJM) aufgebaut und geführt, später in Frankfurt am Main ein Schülercafé gegründet und elf Jahre lang betreut. Anschließend kam er nach Leipzig. »Von der Stadt kannte ich lediglich das Völkerschlachtdenkmal und das doppelte M«, gibt er lachend zu. Doch das änderte sich schnell und er fühlte sich schon bald heimisch: »Die Menschen sind mir stets freundlich begegnet. Ich hatte hier nie Schwierigkeiten - weder mit dem Stadtteil noch mit seinen Bewohnern«, erinnert sich der Wahl-Grünauer an seine Anfangszeit.

Die Arbeit mit und für Menschen hat Mohrmann immer fasziniert und er könnte stundenlang amüsante, aber auch traurige Erlebnisse aus seinen vergangenen Leipziger Jahren berichten. Wie diese von jenem Mann, der seine an Krebs erkrankte Frau, die in der Universitätsklinik lag, oft in Leipzig besuchte und während seiner Aufenthalte im Gästehaus nächtigte. Eines Abends lud er seinen Herbergsvater zum Essen ein und schüttete ihm sein Herz aus. »Solche Gespräche sind herausragend«, meint Mohrmann noch immer von dieser Begegnung bewegt.

Überhaupt habe er mit den Ostdeutschen viel grundsätzlichere Gespräche über Gott und Glauben geführt - nie war er dabei missionarisch, aber er habe auch in seinem ganzen Leben noch nie so viele Bibeln verschenkt, wie hier. Neben seinem Job als »Hotelchef« ist Reinhart Mohrmann aber immer ein Mann der Kirche geblieben, der sich nicht vor umfangreichen Aufgaben scheut.Das Amt als Vorsitzender der Kirchenbezirkssynode übernahm er und wird es noch im kommenden Jahr inne haben. Richtig stolz ist er jedoch über den, vom Verein Ökumenisches Gästehaus e.V. ins Leben gerufenen Ökumene-Preis, der in diesem Jahr bereits zum siebenten Mal verliehen wird. »Ich finde es einfach schön, dass der so gut angenommen wird. So gut, dass er mittlerweile Leipziger Ökumene Preis genannt wird«, freut sich das Jury-Mitglied.

Den »Wessi« erkennt man höchstens am noch immer unüberhörbaren Ruhrpott-Dialekt. Zuhause? Das ist mittlerweile nicht mehr Hildesheim, Hagen, Berlin oder Frankfurt, obwohl dort seine Kinder und Enkel leben.Zuhause - das ist Leipzig. Das ist Grünau. Er, der bis vor kurzem in einer Wohnung hoch über dem Stadtteil im Gästehaus lebte, wurde einmal gefragt, ob er am Wochenende denn nach Hause führe. »Natürlich«, parierte der bekennende Stadtmensch damals verschmitzt, »mit dem Fahrstuhl in die neunte Etage.« Dem Stadtteil wird er weiterhin die Treue halten. »Ich fühle mich nach wie vor wirklich richtig wohl hier. Warum sollte ich von hier weg gehen?«

Klaudia Naceur
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