Grün-As

Neuberechnung der Bahnhofsbetreiber zwingt Zweckverband an die Schatztruhe

ZVNL vor neuem Finanzierungsproblem

Wiederkehr der S 1 bisher nicht gefährdet

Noch ist das letzte Wort nicht gesprochen. Aber wenn die brisante Rechnung der Bahntochter DB Station & Service an den Nahverkehrs-Zweckverband in voller Höhe eingefordert wird, muss der ZVNL an seine Reserven gehen. Und wenn sich die Schatztruhe leert, steht die Abbestellung von Zügen wiederholt im Raume. Nur durch Absprachen mit dem Betreiber DB Regio bleibt die Regionalexpress-Verbindung von Leipzig nach Altenburg, die schon zum zweiten Mal auf der Streichliste stand, in letzter Minute doch erhalten.

Wichtig für Grünau: Trotz chronisch knapper Kasse soll die S 1 nicht auf dem Abstellgleis bleiben, heißt es. Der Hintergrund: Der ZVNL organisiert den Nahverkehr auf der Schiene in und um Leipzig. Dafür gibt es Geld vom Freistaat. Dieser hatte die Zuwendungen kurzfristig empfindlich gekürzt, woraufhin sich der ZVNL gezwungen sah, einige Leistungen abzubestellen. Die Aussetzung der S-Bahn zwischen Grünau und Hauptbahnhof war eine solche Reaktion.

Die aktuellen Pläne sehen vor, die S 1 ab Dezember 2013 mit Inbetriebnahme des Citytunnels wiederzubeleben - sogar in gestärkter Form. Die Wiederkehr sei »so sicher wie der tägliche Sonnenaufgang«, hatte der damalige ZVNL-Geschäftsführer Andreas Glowienka gesagt, aber sich ein Hintertürchen offen gelassen: Wenn der Freistaat nochmals die eigenen Beschlüsse aushebelt und weiter kürzt, sei die Aussage freilich ungültig.

Die neuerlichen Schwierigkeiten kommen jedoch aus einer anderen Ecke. Insbesondere zwei Töchter der Deutschen Bahn bitten den Zweckverband zur Kasse: Die Infrastrukturfirma DB Netz unterhält die Trasse und sammelt Kilometergeld für die Streckennutzung ein, während die bahnhofsbetreibende DB Station & Service jeden Zughalt mittels eines ausdifferenzierten Systems berechnet - es geht dort um Kriterien wie Bahnsteiglänge, Ausstattung des Bahnhofs und Anzahl der Bahnsteigkanten. Je besser der Bahnhof, desto teurer dessen Benutzung. Für das Jahr 2012 haben die Bahnhofsbetreiber eine Rechnung präsentiert, die beim ZVNL auf Unverständnis stößt - und dort eine Finanzierungslücke aufreißt.

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Stillgelegt: Die Grünauer S-Bahn

Das Problem: Durch die Abbestellungswelle aus 2011 entfallen seither 500.000 Zughalte - jeder fünfte in und um Leipzig. Eine einzige Fahrt der (auch dadurch so teuren) S-Bahn hatte allein elf kostenpflichtige Stopps verursacht. Nun ging der Zweckverband davon aus, dass für die Zugausfälle in 2011 so etwas wie »Stornokosten« zu leisten seien, die Entgelte für 2012 aber entsprechend der tatsächlichen Abfertigungen gekürzt werden. Motto: Wo nichts fährt, muss auch nichts bezahlt werden. Die Bahntochter hingegen kalkulierte dagegen die Einzelpreise neu - und korrigierte sich massiv nach oben! Für den neuen Verbandsgeschäftsführer Oliver Mietzsch kommt es ganz dick: Für den ZVNL ergebe sich entgegen seiner Erwartung letztlich ein Ausgabenplus für Bahnhofsnutzungen, und zwar in Höhe von 1,7 Millionen Euro, knapp 17 Prozent mehr.

Hinzu kommt, dass beide Lager über das Gesamtvolumen uneins sind, sogar über die Summen aus 2011. Um jetzt eine moderate Bepreisung zu behaupten, habe die Bahn in ihrer Statistik für 2011 viel höhere Zahlen angegeben, als der ZVNL zu entrichten habe, heißt es dort. »Wir können diese Werte zur Zeit nicht nachvollziehen«, sagt Mietzsch. Man sieht sich wohl vor Gericht, falls weitere Verhandlungen scheitern. Die Schuldfrage: Den Schwarzen Peter schieben sich die Unternehmen gegenseitig zu. Die Bahn verteidigt sich: »Auf Grund der Allgemeinen Geschäftsbedingungen war dem ZVNL auch bekannt, dass Änderungen der Bestellmengen in diesem Umfang zwangsläufig zu einer Neukalkulation der Preise führen«, sagt eine Pressesprecherin.

»Die Transparenz der Preisgestaltung wird durch die Bundesnetzagentur sichergestellt, die den vorgelegten Preisen nicht widersprochen hat«, heißt es weiter. Dahinter steckt ein harter Vorwurf: Die ZVNL-Verantwortlichen seien blauäugig, wenn sie glaubten, massive Abbestellungen würden in gleichem Maße zu geringeren Ausgaben führen. Oliver Mietzsch kontert: Noch im Oktober habe DB Station & Service den Zweckverband in Sicherheit gewogen, um wenig später mit der unerwarteten Neuberechnung zu glänzen.

Diese sei keineswegs so zwangsläufig, wie die Bahn es darstellt, sondern eine Kann-Regelung, »so dass zumindest eine rechtzeitige Information an den ZVNL hätte erwartet werden dürfen«. Mit der neuen Bahn-Rechnung ist der taufrische ZVNL-Haushalt nur zwei Tage nach seiner Aufstellung zum teuren Sondermüll geworden. Ein Zughalt im Leipziger Hauptbahnhof koste Mietzsch zufolge nun jedenfalls schon stolze 39,70 Euro. Für Regionalzüge ist der Top-Bahnhof einfach zu teuer, aber daran vorbei führt kaum ein Weg - höchstens darunter durch!

Die Preispolitik der Bahnhofsbetreiber wird als Spirale nach unten beschrieben. Man sei einer Art Flatrate ausgesetzt, sagt Mietzsch. Erreiche die Bahn ihre geplanten Einnahmen nicht, erhöhe sie die Stationspreise, um doch noch genug Umsatz vorzuweisen. Vielleicht ein besseres Bild: Bäckt ein Bäcker nur halb so viele Brötchen, weil die Nachfrage sinkt, berechnet er dann (fast) das Doppelte, damit kaum Umsatz verloren geht. Wenn sich der Hungrige die Brötchen nicht mehr leisten kann, kauft er noch weniger davon...

Die Zukunft: Der ZVNL muss reagieren, setzt die frisch wieder bestellte Regionalexpress-Verbindung zwischen Leipzig und Altenburg auf die Streichliste. Die Verhandlungen mit DB Regio über Einsparpotenziale sind eine Gratwanderung - Mitte Februar kommt die Entwarnung. Auch an den Plänen zur Wiederbestellung der S 1 Ende 2013 ändert sich durch das aktuelle Problem laut ZVNL-Angaben nichts. Selbst die für 2012 avisierte Brückensanierung an der S-Bahn-Endstelle sei trotz maßgeblicher ZVNL-Finanzierung nicht in Gefahr. Die hiesige Bürgerinitiative (BI), skeptisch ob der neuen Geldknappheit, wird dies mit Freude hören.

»Außerdem lassen uns die millionenschweren Investitionen an den Gleisen, den Brücken und den Bahnhöfen hoffen. Wir denken da optimistisch«, sagt BI-Mitglied und Stadtbezirksbeirat Peter Hütter mit Blick auf die Trasse, an der derzeit einiges geschieht. Kommt die S-Bahn dann trotzdem nicht zurück, sei dies »ein Fall für den Rechnungshof«. Angesichts der massiven Arbeiten sei die Aussetzung zwar ein schwerer Einschnitt, aber zeitlich sinnvoll gewesen, meint Hütter - und schlägt damit versöhnlichere Töne an als diejenigen, die die S-Bahn auf keinen Fall missen wollten. Dies liegt vermutlich auch am Ersatzkonzept mit Buslinie 80E und der Grünolino-Verdoppelung, das Hütter vermutlich zu Recht als BI-Erfolg verbucht: »Es hat sich gelohnt, Einfluss zu nehmen. Ob es ohne uns diese Maßnahmen gegeben hätte, ist fraglich.«

Reinhard Franke
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