Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 12

»Frauchen, ich hab noch e Stiefbruder, der Faulpelz hat genug zu essen, hat alles beim Tod der Mutter Stannebein geerbt, eschändlisch dürftsch for dän nischt mitnähm, will ma nisch so sin, krischt den glen Gorb, fast alles Bofiste. Der alte Stänker liescht in halm Tach im Nest. Ich muss unern Dache off ner Matratze schnarchn. Is Blumsklo offn Hof. Un am Tach gansch och gaum ma in Mutters Küche was zubereiten, der Stänker, hä, hä, lässt mich nisch rein. Bringsch awer e paar Pilze mit, gansch die in der Küche bradn!«

»Das ist ja traurig, da müssen Sie mal mit Ihrem Bruder drüber reden, es war ja schließlich auch Ihre Mutter!« Und ich warf ein, »bei uns wird immer alles gerecht geteilt, nur mein Cousin stiehlt gern mal ein paar Bonbons von mir, freut sich, wenn er mich mal so wieder überlistet hat.«

»Ich wär den Kräbl schon och ma überdölbln, wenn er mir weidor is Lehbn schwär macht. Ich wär se sicher noch paar ma treffn, hie, hä, se hörn wenschens zu, wenn mor mit ihn redn tut! Tschau, e schenes Ostern och! Ich mach misch off de Soggen, muss noch den alten Rietzschold e paar Eier aussn Kreitze leiern, der Knauser!«

»Wir müssen auch zu Hause zum Mittagessen bei meiner Schwester sein, heute gibt's Brennesselspinatsuppe. Die Nesseln haben wir gestern in den Ellern gesammelt. Heute Abend geh ich auch noch bei Rietzscholds vorbei, Sie können dem Bauer ausrichten, früher wird es nicht. Also, Adé!«

Er ging mit seinen langen dürren Beinen, die in zu großen Gummistiefeln steckten, eilig davon. Auch wir gingen jetzt durch das Dorf, vorbei an der großen, sehr alten Dorfeiche vor dem Spritzenhaus des Feuerwehrdepots in der Mitte von Frankenheim. Meist waren ja zu dieser Zeit die Spritzenhäuser in den Orten der Dorfknast.

Aber hier war der Katzer weiter vorn im Ort, nicht weit von Tante Marlas Haus. Der Gemeindediener war mit der Polizei- und Justizgewalt ausgestattet und sperrte bei Rechtsvergehen die Schuldigen in den Kerker, der vier mal vier Meter maß. Der Dorfpolizist von Rückmarsdorf gab erforderliche Unterstützung. Der Katzer befand sich bei Mellers Milchladen.

Dort gab es die Milch rationiert auf Stempelkarte. Ich hatte vom Kerker gehört. Als wir jetzt da vorüber gingen, sagte ich, »Mutti, wenn ich hier Milch hole, sagt Frau Meller immer zu mir, 'Du kleiner Wildfang, soll ich dich auch mal in den Katzer sperren?!'«

»Woher kennt sie deinen Unfug, den du anstellst so genau, hat sich wohl schon rumgesprochen!«

KAPITEL II

Das Wattel hat seine vollen Körbe ins Haus gebracht. Der kleine Bruder Olaf hatte ihn schon an der Tür bemerkt. »Wo kommst du jetzt erst wieder her? – Rietzschold hat dich schon gesucht, er war hier, er braucht dich, du sollst den Gülletankwagen füllen und dich sofort melden!«

»Na, hä, nur langsam, der Alte gibt mor immer de scheensten Arbeiten, wo keen andrer ran will; ich war in de Schwamme, wenn du mich in de Küche lässt, bratsch dor och e paar heute Abend!«

»Mal sehen, wann du vom Bauer zurück bist, da reden wir dann kurz drüber«, gab Olaf zur Antwort.


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