Grün-As
Leipzig Grün-As Stadtteilmagazin

Mordshunger

Eine Mord- und Heimatgeschichte des Grünauer Autors Jürgen Leidert
Teil 3

Peter holte sein selbst gebautes Fitschefeil und sein Katapult, welches er aus einer Astgabel gefertigt hatte. Er zeigte uns, wie so ein Katscher gebaut wurde. Bald hatten wir jeder eins.

Peter sagte: »Wir werden auf Spatzen schießen, die können wir bei einem Knäckerchen rupfen und braten, sie schmecken wie Hühnchen.« Es war für uns alle eine sehr grausame Sache, einen toten Sperling wollte keiner weder rupfen noch essen. Selbst Peter der einen geschossen hatte konnte sich nicht dazu überwinden!

Der Hunger war manche Tage groß und wir waren offen und kreativ, um kein Hungergefühl zuzulassen, wir sammelten von abgeernteten Feldern liegen gebliebene Kartoffeln und Getreideähren, im Wald und auf Wiesen Beeren, wilde Paradiesäpfel, Kirschen, Kräuter und Pilze. Kartoffeln wurden am offenen Feuer geröstet, die Pelle abgezogen und genüsslich verspeist.

Von ertragreicher Ährenlese zurück, wurden die Körner ausgeknaupelt und dann in Wasser aufgequollen, später ein Kornbeefsteak gebraten. Äpfel, Brombeeren, Himbeeren, Monatserdbeeren, Mehlfässchen, Kresse und Käsemeppeln wurden gleich am Fundort zur Bereicherung des täglichen Speisezettels vertilgt. Bei den Pilzen waren wir vorsichtig, nahmen nur, was wir genau kannten, zumeist Wiesenchampignons und junge Boviste, die wir in der Gruppe teilten und zum Abendessen mit nach Hause nahmen.

Unsere Kinderbande, das waren Peter Schmidt, der Älteste, ich, der Jörg Weise, Irene Mann, das einzige Mädchen, mein Cousin Gunter Lünemann und Fred Kütze, alle stammten von dem Anwesen meiner Tante oder wohnten in einem der Seitengebäude. Und kein Kind gehörte zu einer Bauernfamilie. Wir waren nahezu alle Abkömmlinge des städtischen Bürgertums und mussten vor den besser genährten Bauernkindern auf der Hut sein.

Nur mit Diplomatie konnten wir Unfrieden mit den Dorfkindern entgehen. Das hatte oftmals etwas Gutes, wenn Feindseligkeiten ausblieben oder gar unter den kräftigen Bauernsöhnen, Freunde zu gewinnen waren. Peter, als der älteste und stärkste unter uns hatte so manchem Bauernsöhnchen Respekt beigebracht, bei ihm war aber immer Gewalt im Spiel, nicht freundschaftliche Annäherung. Mit Pfeil und Bogen schoss er gleich mal an den Kopf eines Kindes oder mit dem Katapult zwischen die Beine, wenn es Streit gab. Hatte er schmerzhaft getroffen, grinste er über das ganze Antlitz.

Auch in unserer kleinen Gruppe versuchte er mit Gewalt und Hinterlist, die Oberhand zu behalten. An einem sonnigen Herbstnachmittag knackten wir die ersten Nüsse unter dem Walnussbaum, aber sie waren noch nicht genügend abgelagert und getrocknet. Peter saß am Fenster und rief: »Lasst mir ja etwas übrig, sonst muss ich euch einen Schuss versetzen, den ihr nicht vergesst!« Irene rief, »Wer zuerst kommt, mahlt zuerst, du sitzt faul am Fenster und nimmst schon wieder den Mund so voll, du alter Stänker!«

Da nahm er, blutrot angelaufen seine Visage, sein Fitschefeil und schoss einige Pfeile in unsere Mitte. Meinen Gunti hatte es an der Stirn erwischt und er blutete stark.


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